Das Investment: „Abgesang auf das Beratungsprotokoll war verfrüht“

sjb_werbung_das_investment_300_200Die Pflichten zur Dokumentation von Finanzberatungen in Deutschland könnte sich durch die EU-Richtlinie Mifid II grundlegend ändern. Wie es mit deren nationalen Umsetzung in Deutschland weitergeht, Markus Lange, Experte für die Finanzbranche bei der Unternehmensberatung KPMG.

Ein Ende April vorgelegter delegierter Rechtsakt der Europäischen Kommission sieht unter anderem vor, dass der Finanzberater künftig darlegen soll, warum sein Ratschlag zu dem jeweiligen Privatanleger passt. Betrachtet werden hierzu die persönlichen Anlageziele und –zeiträume, die Erfahrungen und Kenntnisse sowie die Risikobereitschaft und Verlusttragfähigkeit des Kunden.

Diese Lösung wäre gegenüber dem jetzigen deutschen Beratungsprotokoll eine Erleichterung, erklärte der Münchner Rechtsexperte Christian Waigel im Video-Interview mit DAS INVESTMENT.com. Denn Begründungen für die individuell erteilten Ratschläge an den Kunden müssten demnach künftig nicht mehr verfasst werden, wie jetzt von der Bafin gefordert.

Stattdessen lässt die EU-Vorgabe auch standardisierte oder elektronisch generierte Berichte zu. Allerdings könnte der deutsche Gesetzgeber über die EU-Vorgabe zur Geeignetheitsprüfung hinausgehen und am Beratungsprotokoll in der bisherigen Form festhalten. Wie es mit der nationalen Mifid-II-Umsetzung in Deutschland weitergeht, fragten wir den KPMG-Experten für Mifid II Markus Lange.

DAS INVESTMENT.com: Wie ist der aktuelle Stand der Gesetzgebung über die zukünftigen Regulierungen für die Beratungsdokumentation?

Markus Lange: Artikel 25 Absatz 6 Mifid II sieht vor, dass der Kunde im Falle einer Anlageberatung eine Erklärung zur Geeignetheit erhält, die die erbrachte Beratung nennt und erläutert, wie die Beratung auf die Präferenzen, Ziele und sonstigen Merkmale des Kleinanlegers abgestimmt wurde. In der dies konkretisierenden Delegierten Verordnung vom 25. April bestimmt Artikel 54 Absatz 12, dass die Wertpapierfirma dem Anleger einen Bericht mit einem Überblick über die erteilten Ratschläge und Angaben dahin gehend zukommen lassen müsse, inwiefern die abgegebene Empfehlung zum betreffenden Kleinanleger passt, was auch Informationen darüber mit einschließt, inwieweit sie den Zielen und persönlichen Umständen des Kunden … gerecht wird. Die Delegierte Verordnung spricht insoweit vom Eignungsbericht. Dies deutet auf ein eher weites Verständnis der neuen Anforderungen hin.

Welche weiteren parlamentarischen Schritte sind auf der Ebene der EU und für die Umsetzung in Deutschland vorgesehen?

Auf EU-Ebene sollten keine unmittelbaren weiteren Konkretisierungsschritte zu gewärtigen sein. Mit Spannung wird man der weiteren Umsetzung auf nationaler Ebene entgegensehen dürfen, also den einschlägigen Bestimmungen im Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetz. Ein Referentenentwurf wird nach der Sommerpause erwartet.

Welche Eckpunkte der nationalen Umsetzung dieser EU-Vorgaben sind zum jetzigen Zeitpunkt bereits absehbar beziehungsweise wahrscheinlich?

Kurz bevor die Diskussion über die inzwischen beschlossene einjährige Verschiebung der Umsetzung beziehungsweise Anwendung von Mifid II und Mifir aufkam, hatte der deutsche Gesetzgeber im Oktober 2015 den Referentenentwurf eines Finanzmarktnovellierungsgesetzes vorgelegt. Dieser enthielt unter anderem eine Regelung zur Geeignetheitserklärung als Paragraf 57 Absatz 12 Wertpapierhandelsgesetz-neu, die sich am Wortlaut des Artikel 25 Absatz 6 Mifid II orientierte. Mit Blick auf die zwischenzeitlich vorgelegte Delegierte Verordnung vom 25. April erscheint allerdings zweifelhaft, ob der deutsche Gesetzgeber diesen Ansatz unverändert weiter verfolgen kann. Wenn man den Eignungsbericht als erweiterte Anforderung gegenüber einer Geeignetheitserklärung zu verstehen hätte, könnte sich der im Herbst 2015 vielfach artikulierte Abgesang auf das deutsche Beratungsprotokoll bereits aus rechtlicher Sicht als verfrüht erweisen.

„Beratungsprotokoll hat sich bewährt“

Warum hat sich das deutsche Modell des Beratungsprotokolls aus Ihrer Sicht in der Vergangenheit bewährt?

Aus meiner Sicht muss man unterscheiden. In der Einschätzung der Aufsicht hat sich das Beratungsprotokoll als effektives Instrument zur Verbesserung von Beratungsdokumentation und -qualität bewährt. Jedenfalls was die Nachvollziehbarkeit der Vorgänge rund um das Beratungsgespräch anbelangt, ist diese Sichtweise verständlich. Wenn man Banken und Berater fragt, stellt sich das Meinungsbild etwas anders dar. Der bürokratische Aufwand wird bemängelt, Verzichtsmöglichkeiten und andere Erleichterungen werden gefordert. Zugleich kann sich das Beratungsprotokoll im Umgang mit Kundenbeanstandungen als hilfreich erweisen, denn die Dokumentation lässt sich dem Vorbringen des Kunden unmittelbar entgegenhalten. Aus Sicht des Kunden ist damit nicht nur die vom Gesetzgeber beabsichtigte verbesserte Durchsetzbarkeit von Ansprüchen aus Falschberatung kaum erreicht worden. Es erscheint meines Ermessens generell fraglich, ob ein regulatorisches Instrument, das vergleichsweise spät im Rahmen des Produkt- und Vertriebszyklus ansetzt, ohne weitere flankierende Maßnahmen geeignet ist, etwaige vorangegangene Fehlentwicklungen zu korrigieren und die Beratungsqualität spürbar zu verbessern. Ich würde insoweit eher auf die neuen Regeln zur Product Governance setzen.

In welchen Punkten bringt die Geeignetheitsprüfung Verbesserungen beziehungsweise Verschlechterungen für den Finanzberater mit sich?

Es bleibt abzuwarten, ob sich der deutsche Gesetzgeber ein eher enges Verständnis der Geeignetheitserklärung zu eigen macht, oder ob er einen weitergehenden Eignungsbericht oder Ähnliches vorschreiben wird. Da Letzteres in einer unmittelbar anwendbaren Delegierten Verordnung vorgesehen ist, scheint daran kaum ein Weg vorbeizugehen. Die Geeignetheitserklärung verstehe ich als eine gegenüber dem Beratungsprotokoll in der Breite verringerte Anforderung, wobei in dem betreffenden Punkt eine größere Tiefe im Vergleich zur aktuell in Deutschland geltenden Rechtslage gemeint sein dürfte. Alles in allem wage ich aber daran zu zweifeln, ob sowohl die Aufsicht als auch die Protokollpflichtigen letztlich allzu glücklich wären, wenn künftig anstelle des Beratungsprotokolls eine deutlich verschlankte Geeignetheitserklärung obligatorisch wäre.

Inwiefern besteht für Berater Grund zur Sorge, dass sie mit einem hohen technischen Aufwand und Kosten für Tonbandaufzeichnungen belastet werden?

Die zusätzlichen neuen Anforderungen an die Aufzeichnung von Telefongesprächen und elektronischer Kommunikation können teilweise zu einem Doppelaufwand führen. Man wird aufgrund der Vorgaben in Artikel 16 Absatz 7 Mifid II davon auszugehen haben, dass nicht nur die Annahme, Übermittlung und Ausführung von Kundenaufträgen aufzuzeichnen sind, sondern etwa auch vorbereitende Anlageberatungsgespräche. Eine Erleichterung mit Blick auf Geeignetheitserklärung beziehungsweise Eignungsbericht ist nicht vorgesehen, weil die Normen unterschiedliche Zielrichtungen haben – einerseits Aufzeichnung primär für die Aufsicht, andererseits Dokumentation primär für den Kunden. Der Mehraufwand hängt vor allem davon ab, welchen Stellenwert im Rahmen des künftigen Geschäftsmodells telefonische Beratungsgespräche haben.

Welche Relevanz haben diese neuen Mifid-II-Herausforderungen für Finanzanlagenvermittler?

Die vorstehend diskutierten Anforderungen gelten für alle Wertpapierfirmen, das heißt für beratende Banken und alle anderen Finanzdienstleister, die von der BaFin beaufsichtigt werden. Für Finanzanlagenvermittler, die bislang im Rahmen der Gewerbeordnung beziehungsweise Finanzanlagenvermittlungsverordnung tätig sind, gelten diese Regeln voraussichtlich nur entsprechend – vorausgesetzt, dass die Ausnahmeregelung für Finanzanlagenvermittler beibehalten wird und diese auch künftig nicht der Aufsicht der BaFin unterliegen. Mifid II enthält einen Mindestkatalog von Vorschriften, die auch für Finanzanlagenvermittler relevant sein sollen. Dieser enthält sowohl die Regelung zur Geeignetheitserklärung als auch diejenige zur Aufzeichnung von Telefonaten und elektronischer Kommunikation.

Von: Christian Hilmes

Quelle: DAS INVESTMENT.

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