Das Investment: Boutiquen in der Asset-Management-Industrie: „Derzeit läuft alles auf eine Monokultur hinaus“

sjb_werbung_das_investment_300_200SJB | Korschenbroich, 22.07.2015. Fondsboutiquen wie Carmignac Gestion oder Flossbach von Storch haben es vorgemacht. Auch oder gerade kleinere Asset Manager können erfolgreich sein und haben einiges anzubieten: authentische Investmentstile, eine inhabergeführte Unternehmenskultur und keine Me-too-Produkte. Was die Anleger davon haben, erklären elf Marktexperten.

DAS INVESTMENT: Zählen Vermögensverwaltungen wie Carmignac Gestion oder Flossbach von Storch, einst selbst als kleine Asset Manager gestartet, überhaupt noch zu den Boutiquen?

Eduardo Mollo Cunha: Für mich nicht. Immerhin messen sich die beiden mittlerweile nicht mehr mit kleinen Boutiquen, sondern mit den großen Asset Managern. Ein Blick auf technische Daten wie Assets under Management, Mitarbeiterzahl und Unternehmensstruktur unterstützt das.

Johannes Hirsch: Wesentlich ist doch, dass der Inhaber für eine Meinung steht. Nicht nur nach innen, sondern auch nach außen. Nehmen Sie einen Edouard Carmignac. Der nimmt zu Themen, die ihm wichtig sind, Stellung und veröffentlicht ganzseitige Anzeigen in Pariser Zeitungen. Bei einem Deutsche-Bank-Konzern wäre das wohl kaum vorstellbar. Größe bei den Kundengeldern oder Mitarbeitern mögen ja Indikatoren sein, wichtiger finde ich jedoch, wie ein Unternehmen und wie ein Unternehmer agiert. Und da gibt es dann bei den beiden Genannten doch erhebliche Unterschiede zu Konzernen.

Christoph Benner: Letztlich fragen Sie nach dem Wesen von Fondsboutiquen. Eine abschließende Definition gibt es aber bekanntermaßen nicht. Für mich sind zwei Kriterien maßgeblich. Zum einen, dass die Boutique auf eine Asset-Klasse oder einen Investmentstil spezialisiert ist. Zum anderen, dass die Inhaber noch operativ tätig sind, im Alltag die Zügel in der Hand halten. Von Letzterem kann man auch bei Flossbach von Storch ausgehen, allerdings natürlich mit einem ganz anderen Unterbau als bei einer Boutique mit 10 oder 20 Mitarbeitern.

Ottmar Heinen: Für mich ist die Größe der Organisation zwar ein Aspekt. Entscheidend ist aber die Fokussierung. Es gab in der Vergangenheit Versuche, mit einer kleinen Truppe von 10 bis 20 Köpfen mehrere, sogar bis zu zehn Anlagethemen zu bedienen. Das Scheitern steht dann von vornherein fest. Fokussierung bedeutet nämlich, dass man zu einem Thema Know-how aufbaut und darin einen Mehrwert gegenüber dem Markt anzubieten hat.

Stephan Modler: Bei der Fokussierung dürfte es sich meist um ein Nischenthema handeln. Mainstream-Themen findet man bei Boutiquen eher selten, die passen nicht zur Grundidee. Das hängt mit den Ausgangsfragen zusammen, die sich jeder Gründer einer Boutique zumindest anfangs stellt: Was tue ich, wofür stehe ich überhaupt? Die Antwort darauf ist die Überzeugung, seinen eigenen Weg zu gehen, und das konsequent.

Dirk Zabel: Genau. Letztlich ist es wichtig, dass Strategie, Geschäftsmodell sowie Expertise und Persönlichkeit der Beteiligten zusammenpassen. Die Größe, auch im Falle Carmignacs oder Flossbach von Storchs, ist dann zweitrangig und muss ins Paket passen. Bei einem globalen Aktienfonds wird das betreute Volumen sicherlich größer sein können als bei anderen, spezielleren Themen.

Dennoch kann die Fondsausrichtung aufgrund des Investmentstils so speziell sein, dass man zu Recht von einem Boutiquen-Ansatz bei einem globalen Aktienfonds spricht. Der Begriff Fondsboutique klingt aber erst mal nach einer Spezialität, und die sollte ein solches Haus auch aufzeigen können.

Was bedeutet es eigentlich, wenn ein Haus vom Inhaber geführt wird?

Michael Kohlhase: In der Regel wird der Gründer mit Herzblut dabei sein und sich verantwortlich fühlen. Anders als bei großen Fondsgesellschaften, wo ein Investmentprozess irgendwo auf dem Papier steht, lebt und prägt ein Inhaber die Prozesse seines Unternehmens maßgeblich. Das führt zu ganz eigenen Entscheidungswegen, die man beispielsweise im Portfoliomanagement auch gar nicht so einfach kopieren kann. Ein Nachbauen von erfolgreichen Investmentstrategien wird dadurch extrem schwierig.

Cunha: Die Firmen stehen für gewisse Werte und Überzeugungen, sie sind konsequent darin und dadurch authentischer in ihrem Handeln. Ein Aspekt ist, dass kleinere Asset Manager Fonds konsequent schließen, wenn diese eine ihrem Anlagethema entsprechende Maximalgröße erreicht haben. Bei großen Fondsgesellschaften hat man vielmehr den Eindruck, dass die Assets under Management ausschlaggebend sind. Es werden also auf Teufel komm raus Gelder eingesammelt – was mit gewissen Folgen auf der Risikoseite der Fonds verbunden ist.

Patrick Linden: Ein weiterer Aspekt von konsequentem Handeln ist die Kontinuität von Personal, Strategie und Produkten. Es wird eben nicht irgendwelchen Modeerscheinungen nachgelaufen. Boutiquen wie unser Haus Rouvier Associés mit über 30 Jahren Firmenhistorie haben ebenso wie DJE Kapital, Carmignac Gestion und Flossbach von Storch in der Finanzkrise an ihren Überzeugungen und Fondsprodukten festgehalten. Große Häuser können das eher nicht von sich behaupten. Sie haben ihre Marketing-getriebenen Fondspaletten zusammengestrichen. Konnten sie auch, weil sie teilweise über 200 Produkte oder mehr verfügen. Immer eins für jeden Modetrend.

Ein Vorteil für Anleger von Boutique-Produkten ist, dass man Fragen zur Wertentwicklung eines Fonds, und sei es zur Begründung von schlechten Phasen, beantwortet bekommt. Der Inhaber, die Führungsebene sind dort im Regelfall von Anfang an dabei. Bei größeren Gesellschaften indes ist bei Fragen zur langfristigen Fondshistorie der entsprechende Portfoliomanager längst nicht mehr im Unternehmen.

Benner: Der Boutiquen-Charakter ergibt sich nicht, weil unbedingt der Inhaber im Mittelpunkt steht, sondern aus dem Fehlen von Konzernstrukturen. Gerade für Family Offices und Vermögensverwalter ist es wichtig, dass kein Interessenkonflikt zwischen Portfoliomanagement und Geschäftsmodell besteht. Bei Boutiquen, die in der Hand des Inhabers oder sogar einer größeren Zahl von Mitarbeitern liegen, haben die die gleichen Interessen wie ihre Anleger. Läuft es gut, freut man sich gemeinsam. Und andersherum.

Deshalb ist die Höhe der Assets under Management einer Boutique am Ende doch nicht unwesentlich. Irgendwann schlägt das Performance-getriebene Geschäftsmodell in ein Volumen-getriebenes um. Und dann ist es hin mit der gleichen Interessenlage von Boutique und Anleger.

Was hat ein Anleger davon, dass eine Boutique inhabergeführt ist, dass sie klein, schnell und wendig ist?

Andreas Sauer: Entscheidend ist inhabergeführt. Man kann frei von Karrierezwängen und Rechtfertigungsdruck gegenüber Vorgesetzten agieren. Aus eigener Erfahrung halte ich das für ganz wesentlich, um am Kapitalmarkt erfolgreich zu sein. Und die Fokussierung macht den Unterschied. Der Kunde spürt, dass für die Boutique oftmals alles von dem Erfolg einer Anlagestrategie abhängt.

Udo Schicht: Kleinere Einheiten können Entscheidungen bekanntermaßen wesentlich schneller treffen. Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass sich ein Unternehmensgebilde bei einer Schwelle von 10 und dann noch mal bei einer Größe von 40 bis 50 Mitarbeitern verändert. Während Flexibilität und Reaktionsschnelligkeit bei solchen Unternehmensgrößen erhalten bleiben, steigt ab einer gewissen Personalstärke und Spezialisierung der Mitarbeiter die Professionalität der Strukturen und Prozesse. Die ist ein wichtiger Faktor für eine überdurchschnittliche Steigerung der verwalteten Assets – eine Entwicklung, die sich bei vielen erfolgreichen Investmentboutiquen verfolgen lässt.

Holger Leppin: Schlanke Strukturen sind auch kein Selbstzweck. Man darf nicht vergessen, dass auch Boutiquen keine gemeinnützigen Vereine sind und wachsen wollen. Das Management steht dann vor der Herausforderung, sich zu überlegen, wie schnell man wachsen möchte und welche Strukturen benötigt werden. Es gibt positive Fälle, in denen neues Personal an Bord genommen wurde und Strukturen schlank blieben.

Aber auch solche, in denen es nicht so gut funktionierte. Gerade bei kleineren Teams besteht die Gefahr, dass es psychologisch knirschen kann. Denn die Mannschaft muss die Neuen erst einmal absorbieren.

Trifft die zunehmende Regulierung kleinere Asset Manager mehr als die Großen?

Hirsch: Zunächst einmal fühlen sich alle gegängelt, sowohl große als auch kleine Fondsgesellschaften. Mittlerweile ist es in Deutschland leider so weit gekommen, dass alles, was ein Finanz-Label trägt, am Pranger steht. In der Gesetzgebung und Aufsicht werden alle gleich behandelt. Dass das vielleicht nicht ganz im Verhältnis zur Größenordnung der Unternehmen steht, sei mal dahingestellt. Das kann für kleine Anbieter aber auch Chance sein, für sich ein Alleinstellungsmerkmal zu erarbeiten. Bekommt man alle Prozesse und Anforderungen mit kleiner Personaldecke gut dargestellt, ist das letztlich ein Qualitätsmerkmal.

Benner: Momentan ist es vermutlich schwierig, die Regulierung wieder einzufangen, die an manchen Stellen erst überhaupt nicht vorhanden war. Daher schießt sie mittlerweile in einigen Bereichen übers Ziel hinaus.

Modler: Die Regulierung stellt jede Fondsboutique vor andere Herausforderungen. Beispielsweise werden im Vertrieb etablierte Vertriebsmodelle für Boutiquen infrage gestellt. Es gibt Häuser, die ihre Distribution auf die Zahlung von Retrozessionen aufgebaut haben. Gleichzeitig gibt es Anbieter, die diese Retrozession als zusätzliche Erträge ihrer Anlagestrategien vereinnahmt haben. Das künftige Verbot im Rahmen einer Vermögensverwaltung stellt sie jetzt massiv unter Anpassungsdruck.

Andere Anbieter hingegen haben Provisionen schon jahrelang an die Anleger durchgereicht und nun entsprechend weniger Druck von dieser Seite. Ein weiterer Aspekt sind die Budgets für juristische Unterstützung. Da haben sicherlich viele Häuser ihre Etats um ein Vielfaches erhöht. Denken Sie nur allein an die Erstellung der notwendigen Dokumente im Fondsbereich.

Was wird das nächste Regulierungskapitel, Mifid II, für Boutiquen bereithalten?

Modler: Die Anforderungen werden sich noch mal drastisch erhöhen. Spätestens dann zeigt sich, dass die Regulierungsbehörden keine Boutiquen haben wollen.

Kohlhase: Dem kann ich nur zustimmen. Die Regulierung setzt doch bei den großen Häusern an. Wenn die Kleinen dann nicht mithalten können und verschwinden, ist das aus Sicht der Aufsichtsbehörde sogar ein nicht unangenehmer Nebeneffekt. Die haben auch nur begrenzte Kapazitäten und müssen sich mit den vielen Unterschieden der kleinen Boutiquen auseinandersetzen. Das ist arbeitsintensiv und nur schwer skalierbar. Für eine Behörde, die ihrer Aufsichtsfunktion nachzukommen hat, letztlich ein zeitfressendes Ärgernis.

Leppin: Aufgrund höherer Markteintrittsbarrieren besteht mittlerweile aber die Gefahr, dass wir auf eine Monokultur der Fondsindustrie hinsteuern. Und das kann nicht im Sinne des Erfinders sein, wenn die großen Häuser die neuen Trends erkennen sollen. Gerade branchenerfahrene Unternehmertypen haben immer wieder Angebotslücken erkannt und besetzt, die später vom breiteren Anbietermarkt aufgegriffen wurden. Das belebt den Markt, das braucht der Markt.

Sauer: Dass wir auf eine Art Monokultur zusteuern, kann ich nicht sehen. Ich sehe eher das Gegenteil. Dauerhaft niedrige Anleiherenditen läuten eine Zeitenwende im Vermögensmanagement ein. Institutionelle Anleger, aber auch vermögende Privatkunden sind in den vergangenen Jahren viel offener für Spezialisten und junge, kleine Boutiquen gewesen. Auch weiß ich aus Erfahrung, dass die Regulierung große Manager viel härter trifft, weil die Komplexität von Prozessen mit der Anzahl von Mandaten und beteiligten Mitarbeitern exponentiell steigt.

Cunha: Letztlich verändert die zunehmende Regulierung die Spielregeln der Branche. Vor allem trifft das auf den Vertrieb zu. Das wirkt sich stellenweise sehr destruktiv aus, birgt aber auch Chancen in sich. Und an dieser Stelle ist dann wieder das Unternehmertum der Boutiquen gefragt.

Heinen: Traurigerweise ändert sich aber auch etwas für die Investoren, vor allem kleinere Anleger. Heutzutage werden Kunden fündig, die ein vernünftiges Produkt mit einem identifizierbaren Ansprechpartner suchen, der dies auch viele Jahre bleibt. Noch. Zunehmend mehr Vermögensverwalter ziehen sich allerdings aus dieser Dienstleistung zurück, weil sie sagen, dass die zeitlichen Ressourcen, die sie eigentlich für die Kundenberatung aufwenden wollten, für Administration und Dokumentation draufgehen. Nicht nur die Vielfalt der Asset Manager ist also in Gefahr, sondern auch die Beratung des Endkunden an sich. Und diese Entwicklung halte ich sogar für viel gefährlicher.

Sauer: Bei allen genannten Herausforderungen gibt es heute aber auch zunehmend kompetente Portfoliomanager, die Zugang zu Seed-Kapital haben und das Wissen und die Erfahrung für eine Boutique mitbringen. Allerdings ist das noch lange keine Erfolgsgarantie.

Muss man laut sein, um als Boutique erfolgreich sein zu können?

Schicht: Es gibt verschiedene Wege, Aufmerksamkeit zu erreichen, ob nun laut oder leise. Zentrale Basis hierfür ist die Qualität des Investmentansatzes mit langfristig überzeugenden Ergebnissen. Danach folgen das Marketing mit einem breiten Mix an Maßnahmen und ausgezeichneten Spezialisten, die wiederum erst ab einer gewissen Unternehmensgröße zu finanzieren sind.

Bei Boutiquen mit einer breiten Marktpräsenz arbeiten häufig mehrere Mitarbeiter im Marketing. Das hat seinen Grund. Letztendlich geht es darum, konstant gute Leistung in großer Regelmäßigkeit zum Zielpublikum zu transportieren.

Zabel: Gute Arbeit zu leisten, aber nicht wahrgenommen zu werden, bringt natürlich nichts. Ein Marketing-Budget mit mehreren Millionen Euro hat aber wohl keine Boutique zur Hand. Die bräuchte es aber, um die interessierte Öffentlichkeit auf ganzer Breite anzusprechen. Allerdings braucht es diese Summen wiederum nicht, wenn man genau weiß, welche Kunden man erreichen will.

Je institutioneller die Kundschaft ist, desto weniger Werbung, aber umso mehr Einzelkontakte und Netzwerke brauche ich. Es kommt dann vermehrt auf die direkte Kommunikation mit den Investoren an, zum Beispiel im Rahmen von Roundtables, Roadshows oder Kongressen.

Linden: Man kann deutlich zwischen B2C- und B2B-Vertrieb unterscheiden. Während Ersteres, das Geschäft mit Verbrauchern, stark von einer Marke getrieben wird, ist das Geschäft mit institutionellen oder semi-institutionellen Anlegern ein anderes. Da muss man die richtigen Leute treffen, und sich bei denen ins Gespräch bringen. Die prüfen dann die Qualität einer Boutique und ihrer Produkte. Passt das Paket, ist man im Geschäft. Ganz ohne Werbung.

Die Gesprächsteilnehmer im Einzelnen:
Holger Leppin, Fisch Asset Management; Michael Kohlhase, Dr. Kohlhase Vermögensverwaltungsgesellschaft; Ottmar Heinen, Lacuna; Patrick Linden, Rouvier Associés; Stephan Modler, Walser Privatbank Invest; Johannes Hirsch, Antea; Eduardo Mollo Cunha, Eyb & Wallwitz; Dirk Zabel, TBF Global Asset Management; Christoph Benner, Chom Capital; Andreas Sauer, Ansa Capital Management; Udo Schicht, USM Finanz

Von: Ansgar Neisius

Quelle: DAS INVESTMENT.

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