Das Investment: Robert Halver: „Keine hohen Zinsen mehr, solange Finanzwelt existiert“

sjb_werbung_das_investment_300_200China ins Schleudern geraten, Rohstoff-Flaute und im Gebälk der EU knirscht es: Wo man jetzt noch sein Geld lassen kann, weiß Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.

Wären die Konjunkturdaten allein für das Wohl und Wehe von Aktien verantwortlich, ginge es ihnen verdammt schlecht und von dem Wort „Jahresend-Rally“ sollte man dringend Abstand nehmen. Sorgen bereiten vor allem die Schwellenländer, die gerade der deutschen Exportindustrie in schwerer Euro-Krisenzeit das wirtschaftliche Überleben gesichert haben. Jetzt ist China – ablesbar an seinem Aktienmarkt – deutlich aus der konjunkturellen Spur geraten und führt damit auch seine Nachbarn auf die falsche Wirtschaftsfährte.

Wer heutzutage noch an chinesische Wachstumsraten von bis zu 7 Prozent glaubt, glaubt vermutlich auch an den Weihnachtsmann und Osterhasen. Der Importrückgang Chinas im September zum Vorjahr um knapp 20 Prozent offenbart die ungeschminkte Wahrheit der chinesischen Konsumschwäche. Ich weiß gar nicht, ob China derzeit überhaupt noch nennenswert wächst.

Und so sehr uns der Rohstoffpreisverfall beim Tanken auch gefallen mag, den Rohstoffe produzierenden Ländern fehlt dadurch viel, sehr viel Geld für die schönen Dinge, die die industrialisierte Welt zu bieten hat. Und dabei reden wir nicht nur über Öl- und Gas-Länder, sondern auch über die industriemetallischen Nationen wie Brasilien. Mit dem kalten weltkonjunkturellen Wind wird in diesen Ländern allein in diesem Jahr Kaufkraft in Höhe von über anderthalb Billionen weggefegt. Wer dort gestern noch ein deutsches Premium-Auto kaufte, fährt morgen vielleicht schon einen asiatischen Reiskocher. Dies handicapt deutsche Aktien, die an der Weltkonjunktur hängen wie der Schäferhund an seinem Frauchen oder Herrchen.

Nicht zuletzt haben wir es bei den Dax-Werten zu einem Drittel mit vielen fundamentalen und politisch ungeliebten Fußkranken aus den Branchen Banken, Versicherungen und Versorgern zu tun, die auf absehbare Zeit nicht mehr über das Wasser laufen werden.

Hilfreich ist sicher auch nicht die Abgasaffäre bei VW. Allein schon aufgrund der schieren Größe – der Autokonzern bedient vor allem den Massenmarkt – wird die deutsche Volkswirtschaft heimgesucht. Und zur allgemeinen Moll-Stimmung passen auch die letzten Zahlen des ZEW zur Konjunkturlage und den -erwartungen.

Drapiert wird der vermeintliche Aktienkrisen-Cocktail durch eine nur noch dämlich zu nennende Diskussion, ob und wann die Fed eventuell und unter welchen Bedingungen, ihre Leitzinsen erhöht. Früher war die US-Notenbank als „Sozialarbeiter“ zur Beruhigung der Weltfinanzmärkte unterwegs, heute scheint sie durch die nebulöse Verschleierungsrhetorik von Frau Yellen eher auf Finanz-Krawall gebürstet zu sein.

Und als wäre das alles nicht genug, gibt es als Sahnehäubchen oben drauf noch das gewaltige Knirschen im politischen EU-Gebälk. Das in der Theorie einträchtige „Gemeinschaftsgebilde“ Europa brilliert praktisch durch eine rechtbrechende Untätigkeit, die Flüchtlingskrise gemeinsam und solidarisch in den Griff zu bekommen. Europa ist in puncto Geben und Nehmen asymmetrisch angelegt: Strukturmittel kassieren und Nato-Präsenz in Osteuropa gegen den „bösen Iwan“ erhöhen immer gerne, Hand reichen und Gegenleistungen erbringen nein danke! In diesem Klima nationaler Egomanie könnte ein Briten-Austritt zügig Nachahmer finden.

Überhaupt, wie sollen sich bitteschön Jugendliche für die Idee einer Gemeinschaftswährung erwärmen, wenn ihnen diese „Erbengemeinschaft“ durch rigorose Reformverweigerung keine beruflichen Perspektiven, sondern soziale Probleme bietet? So wenig wirtschaftspolitische Leistungserbringung in der Eurozone erinnert mich an die „Reise nach Jerusalem“, allerdings in der Variante, dass 19 Staaten um 20 Stühle herumlaufen.

Vor dem Morgen ist die Nacht am schwärzesten
Wahrhaftig haben wir es auf den ersten Blick nicht mit einem Idealszenario für steigende Aktien zu tun. Daher haben auch die großen Vermögensanleger im Spätsommer Tabula Rasa an den Aktienmärkten betrieben. Jetzt schätzen sie die Finanzmärkte neu ein. Sie nehmen zur Kenntnis, dass China über ein großes Feuerwerk an Konjunkturprogrammen zukünftig alles, wirklich alles dafür tut, dass der Drache wieder faucht. Die chinesische Notenbank stellt hierfür den nötigen Brennstoff bereit. Gleichzeitig werden Chinas staatliche Banken ihre hoch verschuldeten Unternehmen nicht fallen lassen. Das wäre volkswirtschaftlicher Selbstmord mit Ansage. Dies führt sicherlich zu einer gewissen „Zombifizierung“ vieler eigentlich lebloser Unternehmen. Doch lässt die KP in Peking hier Fünfe gerade sein: Die Vermeidung eines Wirtschafts-Crashs hat oberste Priorität, koste es, was es wolle.

Tatsächlich scheint der chinesische Aktienmarkt seinen Boden gefunden zu haben. Die Marke von 3.000 Punkten beim Shanghai Composite ist so etwas wie der Fels von Gibraltar. Darunter geht es offensichtlich nicht. Damit bleibt ein weiterer Vermögensverlust für chinesische Konsumenten aus und die internationalen Anleger können diese Marke als Fallnetz betrachten. Wer wollte diesen planwirtschaftlichen Rettungsabsichten widersprechen? Etwa das marktwirtschaftliche Amerika? Niemals, denn China ist weltfinanzwirtschaftlich und -konjunkturell so bedeutend wie die Luft zum Atmen. Wenn der chinesische Reissack umfällt, wird in unserer Finanzwelt kein Sack mehr aufrecht stehen.

Die Geldpolitik wird der Weltwirtschaft keine Schmerzen zufügen, sondern Antibiotikum einflößen

Aus Angst vor einer Deflationierung der Weltkonjunktur soll Frau Yellen bloß die Finger von Zinserhöhungen lassen und auch zukünftig rhetorisch nicht weiter zinspolitisch zündeln. Zinserhöhungsangst könnte Anlegern nahelegen, sich präventiv vom Aktienmarkt zu verabschieden. Und leider gibt es in unserer heutigen Finanzwelt keinen geordneten Rückzug mehr aus den Finanzmärkten wie zum Beispiel nach einem Kinobesuch. Wenn die großen Investoren Aktienmärkte verlassen, dann tun sie das wie Fluchttiere, zum Beispiel Zebras bei Witterung der Löwen. Über Herdentrieb kaputt getrampelte Finanzmärkte führen dann zu noch mehr Risikoaversion, die Ruck Zuck – siehe die Folgen der Lehman-Pleite – auch die Stimmung der gesamten Weltwirtschaft planiert.

Und dann geht die Heimbringung von Auslandsgeld aus den Schwellenländern nach Amerika erst so richtig los. Im Extremfall kommt es zu einer Wiederholung der Asien-Krise 1997/98. Zur Verhinderung eines dann nachhaltigen Währungsverfalls werden China & Co. Staatspapiere aus den USA und Deutschland auf den Markt werfen, was zu Anleiheverlusten führen könnte, die schlafende Anleihe-Hunde aufweckten und im Extremfall das Platzen der größten Anlageblase der Welt – die Anleiheblase – auslösen könnten. Das wird alles nicht passieren. Denn die Fed weiß, dass sie zu einem ohnmächtigen Wunscherfüller der Finanzmärkte geworden ist. Aus dem starken geldpolitischen Stier ist längst ein willfähriger Ochse geworden.

Europäische Aktien haben die Nase vorn

Vor dem Hintergrund dieser Entspannung ist europäischen Aktien Vorzug gegenüber den USA zu geben, nicht zuletzt, weil die EZB ihre Munition noch nicht verschossen hat. Ich erwarte eine Ausweitung und Verlängerung des Aufkaufprogramms zur Reflationierung der Euro-Konjunktur und übrigens auch zur Finanzierung der Kosten der Flüchtlingskrise. Dies geschieht auch im vorauseilenden Gehorsam zur Verhinderung einer erneuten Finanzkrise. Wenn also China verkauft, wird die EZB kaufen.

Wegen der politischen Konflikte in der EU wäre eine neue finanzwirtschaftliche Erschütterung Wasser auf die Mühlen der Euro-Wehrkraftzersetzter. Der realpolitische Zwang degradiert auch die EZB zu einem für die Politik nützlichen Erfüllungsgehilfen. Solange unsere Finanzwelt existiert wird es keine wirklich hohen Zinsen und Renditen mehr geben können. Diesen früheren „Anlage-Luxus“ können wir uns gar nicht leisten.

Daher fällt der Blick auf die größte Alternativanlageklasse, Aktien. Die grundsätzlich niedrige Rohstoffpreise und ein vergleichsweise günstiger Euro führen zu Margenverbesserungen der konjunkturzyklischen und exportorientierten Unternehmen. Aufgrund der jahrelang lähmenden Euro-Krise hat Europa ohnehin konjunkturelles Nachholpotenzial. Ich glaube an die – wenn auch künstlich befruchtete – Weltwirtschaft. Der ZEW-Konjunkturindikator fällt übrigens regelmäßig deutlich pessimistischer aus als die Daten des ifo-Instituts.

Daher bin ich nach wie vor ein Anhänger zyklischer Aktien. Titel der Branchen Maschinenbau, Elektro und Chemie werden davon profitieren. Angst, dass der Abgasskandal das erotischste aller Industrielabel, nämlich „Made in Germany“, unattraktiv machen könnte, habe ich ohnehin nicht. Dazu verfügen wir industriekulturell über zu viel Sexappeal. Und so glaube ich an einen – wenn auch schwankungsanfälligen – guten Aktien-Herbst und einen Jahresendstand beim Dax von etwa 10.800 Punkten.

Von: Robert Halver

Quelle: DAS INVESTMENT.

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