Das Investment: Anlagen in Staatsanleihen: „Auch Staaten müssen unter ESG-Kriterien beurteilt werden“

Staaten spielen bei der Bewältigung ökologischer und sozialer Herausforderungen eine zentrale Rolle. Daher sind ESG-Kriterien auch bei Anlageentscheidungen in Staatsanleihen elementar, meint Ophélie Mortier, Leiterin ESG-Investments bei Degroof Petercam Asset Management (DPAM). Unsere globalisierte Wirtschaft ist mit vielen Herausforderungen konfrontiert, allen voran dem Klimawandel. Aber auch die Verknappung der natürlichen Ressourcen, der Anstieg der Staatsverschuldung und die demographische Entwicklung sind sich immer weiter verschärfende Probleme.

Um diese langfristig in den Griff zu bekommen, müssen Regierungen von Staaten weltweit stärker in die Pflicht genommen werden. Auch unter sozialen und gesellschaftlichen Aspekten spielen Staaten als wichtige Akteure eine Schlüsselrolle. Investoren können und müssen dazu beitragen, weltweit eine nachhaltige Staatsführung in der Breite zu fördern. Die voranschreitende ESG-Regulierung unterstreicht die treuhänderische Pflicht von Investoren, ökologische, soziale und Governance-Faktoren in die Anlageprozesse und das Risikomanagement zu integrieren. Wie wichtig dies ist, zeigt ein Blick in die Portfolios von Pensionsfonds in Europa. Darin haben Staatsanleihen immerhin ein Gewicht von 30 Prozent.

ESG-Orientierung senkt Risiken bei Anleihen

Durch die Eurokrise haben viele Länder ihren Status als risikofreie Anlagen verloren. Eine ausufernde öffentliche Verschuldung und unsolide Haushaltsführung zeugen nicht von guter, nachhaltiger Staatsführung. Schon damals hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, ESG-Kriterien bei Investitionen in Staatsanleihen zu berücksichtigen. Denn Staatspapiere nachhaltiger Länder zeigen sich in Krisenzeiten grundsätzlich widerstandsfähiger. Zum Beispiel hat sich Skandinavien, dessen Regierungen soziale und ökologische Qualität unterstützen, während der Eurokrise deutlich besser behauptet als beispielsweise Südeuropa.

Staatsführung – also die Governance von Ländern – bezieht sich auf die Qualität, Stabilität und Vorhersehbarkeit der umgesetzten Politik. Das ermöglicht den staatlichen Institutionen, sich im Hinblick auf endogene und exogene Ereignisse widerstandsfähiger zu verhalten – im Gegensatz zu nicht-nachhaltigen Faktoren wie Korruption, Unfreiheit und Bürokratie, die insbesondere auch ausländischen Investoren schaden können.

Forschungsergebnisse belegen zudem den Zusammenhang zwischen der Qualität der Regierungsinstitutionen eines Landes und seinem Schuldenausfallrisiko. Die Meinung über wichtige Risikoparameter hat sich in den letzten zehn Jahren verschoben, Klimarisiken stehen heute ganz oben auf der Prioritätenskala. Deshalb würde eine bessere Nachhaltigkeitspositionierung südeuropäische Länder im heutigen Kontext wieder risikoärmer dastehen lassen. Bereits 2007 entwickelte DPAM ein eigenes Analysemodell zur Einschätzung der Nachhaltigkeit von OECD-Staaten, das seit 2013 im Wesentlichen auch für Schwellenländer Anwendung findet. Im Zentrum der halbjährlich aktualisierten ESG-Untersuchung, die von externen unabhängigen Spezialisten unterstützt wird, stehen neben dem Hauptkriterium ‚Transparenz und demokratische Werte‘ die Faktoren ‚Umwelt‘, ‚Wirtschaft‘, Bildung und Innovationen‘ sowie ‚Gesundheit und Vermögensverteilung der Bevölkerung‘. Wie wichtig es ist, Staaten anhand ihrer Nachhaltigkeit unter die Lupe zu nehmen, lässt sich an den Beispielen des OECD-Staates Japan sowie des Schwellenlandes Brasilien darstellen.

Defizite in Japan

In den letzten zehn Jahren konnte Japan die untere Hälfte der Nachhaltigkeits-Rangliste der OECD-Mitgliedstaaten nicht verlassen. Ein Blick auf die Schlüsselindikatoren für das Land zeigt die Schwäche in Bezug auf Bevölkerung, Gesundheitsversorgung und Vermögensverteilung. Vor allem mit Blick auf die Umwelt sind die Ergebnisse enttäuschend. Als ressourcenarmes Land stellt Energie eine der größten Herausforderungen dar. Japan begann Mitte des 20. Jahrhunderts mit dem Ausbau der Kernenergie und machte sie zu einer seiner Prioritäten in den 70er Jahren. Bis 2010 machte diese Energiequelle über 25 Prozent der Stromerzeugung aus, mit dem Ziel, diese auf 40 Prozent zu steigern. Erneuerbare Energien wurden dementsprechend systematisch vernachlässigt. Heute entfallen auf sie nur sieben Prozent der gesamten Stromerzeugung. Dies ist im Vergleich zu Ländern wie Dänemark mit einem Anteil erneuerbarer Energien von 65 Prozent verschwindend gering.

Zudem stellt sich die Biodiversität als zunehmend problematisch heraus. Selbst wenn Japan seine Schutzgebiete auf 10 Prozent der gesamten Territorialfläche verfünffachte, liegen die Werte in Australien bei etwa 30 Prozent und in den Vereinigten Staaten bei 25 Prozent. Mit Blick auf die Demographie ergeben sich in Japan schwerwiegende Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die soziale Sicherheit. Aus diesem Grund hat sich die Regierung in Tokio für erhebliche Investitionen in Bildung und Innovation entschieden.

Brasilien steigt ab

Unter den Schwellenländer ist Brasilien ein Beispiel dafür, dass es wichtig ist, als Anleiheinvestor auf Nachhaltigkeitskriterien zu achten. In den letzten sechs Jahren hat das größte südamerikanische Land, das immerhin knapp zehn Prozent der traditionellen Schwellenländer-Anleiheindizes repräsentiert, einen rasanten Abstieg um 33 Plätze im DPAM-Länderranking vollzogen. Kritisch sind dabei unter anderem die Bemühungen Brasiliens um den Treiber der ökologischen Nachhaltigkeit zu betrachten. Hier entwickeln sich der Trend und der Vergleich zu anderen Ländern in der Region wie Mexiko nicht gut. Die Luftqualität verschlechterte sich zuletzt in Bezug auf die Partikelkonzentration und den Prozentsatz der betroffenen Bevölkerung spürbar, weil der Einsatz von Kohle im Energiemix wieder zugenommen hat. Die erneuerbaren Energien bleiben angesichts der Größe des Landes auf einem marginalen Niveau.

 

von Ophélie Mortier

Quelle: Das Investment

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