Das Investment: „Bei Wachstum oder Substanz gibt es kein Entweder-oder“

Sind die Tage des Value-Investing gezählt? Oder kommt nun eine neue Hochphase für Substanz-Strategien? Sicher ist, dass Investoren keinen der Anlagestile abschreiben sollten, erklärt Martyn Hole von der US-Fondsgesellschaft Capital Group.

Auf den ersten Blick scheint die Aufteilung klar, doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Die Trennung des Anlageuniversums in Wachstums- und Substanzwerte ist nicht völlig objektiv. Die Zuordnung der Unternehmen kann sich im Zeitablauf ändern. Eine Aktie kann zugleich Wachstums- und Substanzwert sein – oder keines von beidem.

Heute definiert beispielsweise Morningstar eine Aktie mit hohem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) als Wachstumswert und eine Aktie mit niedrigem KGV als Substanzwert. Echte Fundamentalinvestoren schränkt dies ein, da für sie die Bewertung immer das Verhältnis aus Wert und Preis ist. Aus der Rückschau schien Amazon mit 300 US-Dollar im Jahr 2015 trotz des hohen KGV günstig bewertet.

Diese Firma passt in keine Schublade
Der Halbleiterhersteller Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) ist ein Beispiel für ein Unternehmen, das sich mit den traditionellen Kategorien Growth und Value nicht fassen lässt. TSMC ist zum weltgrößten Halbleiterhersteller aufgestiegen und bedient die wachsende Nachfrage des weltweiten Technologiemarktes. Das Unternehmen hat sich durch Präzision und Innovation eine dominierende Marktposition erarbeitet und produziert jetzt kleinere, leistungsfähigere Halbleiter für große Technologiekonzerne wie Apple, Qualcomm und Mediatek.

Der Smartphone-Markt mag gesättigt sein, aber die Nachfrage nach Rechenkraft und Speicherkapazität führt dazu, dass die Geräte immer mehr Chips enthalten. TSMC ist in den letzten 20 Jahren enorm gewachsen. Im Jahr 1997 betrug die Marktkapitalisierung 5 Milliarden US-Dollar. Heute sind es über 200 Milliarden.

TSMC hat heute daher mehr mit klassischen defensiven Titeln gemein als mit IT-Werten: ein hoher freier Cashflow, attraktive und steigende Dividenden, stabile und berechenbare Gewinne und ein Produkt, das stets nachgefragt wird. Manchmal passen gute Investments nicht so leicht in eine Schublade.

Kann es an der Börse so weitergehen?
Der jüngste Vorsprung von Wachstumsaktien lässt sich mit mehreren Faktoren erklären. Erstens haben in den 2000er-Jahren der Aufstieg der Schwellenländer und die rasante wirtschaftliche Entwicklung Chinas die Weltwirtschaft bestimmt. China wuchs enorm, vor allem aufgrund des steigenden Arbeitskräfteangebots und hoher Investitionen.

Doch 2008 kam die digitale Revolution. Sie ging mit Deflation bzw. schwächerem Wachstum einher und hatte Auswirkungen auf die Produktivität. Vor allem der Technologiesektor hat in den letzten Jahren für enorme Kursgewinne bei Wachstumswerten gesorgt.

Angst vor Preisblase bei Tech-Aktien
Vom Aktienmarkttief im März 2009 bis Ende 2017 verzeichneten amerikanische Technologiewerte 23 Prozent Jahresertrag (Stand 30. September 2018. Gesamtertrag in US-Dollar. Quelle: S&P). Aufgrund der Technologierally fürchteten manche Investoren, dass sich eine Preisblase bilden könnte.

Der Anteil von Technologieaktien an der Marktkapitalisierung in den USA ist mit über 25 Prozent auf den höchsten Wert seit Anfang 2000 gestiegen. Ende August 2018 betrug das Kurs-Gewinn-Verhältnis amerikanischer Aktien 18,7; das KGV von Technologiewerten war mit 21,1 geringfügig höher. Dies ist weit von den extremen Bewertungen auf dem Höhepunkt der TMT-Blase entfernt.

Technologietitel führten Wachstum an
Bis 2000 konnten die Investoren von allem, was mit dem Internet zu tun hatte, nicht genug bekommen. Doch dann drehte sich die Stimmung, da die Kurse exorbitant gestiegen waren und die Gewinne der Unternehmen kaum zulegten. Bis zu ihrem Tief verloren Technologieaktien fast 80 Prozent. Dabei rissen sie auch den Gesamtmarkt mit.

Diesmal haben vor allem schnell wachsende Umsätze und Gewinne für eine Technologierally gesorgt. Die Bewertungen erscheinen daher nicht übertrieben. Viel wurde über den enormen Aufstieg der „FAANGs“ – Facebook, Apple, Amazon, Netflix und Google (jetzt Alphabet) geschrieben. Diese innovativen Unternehmen standen in den letzten Jahren an der Spitze des US-Technologiesektors. Sie stellten traditionelle Geschäftsmodelle infrage und eroberten schnell die Weltmärkte.

Ausgaben für Online-Werbung gestiegen
Diese Unternehmen haben eines gemeinsam: Sie haben bewiesen, dass sie mit großem Erfolg Technologien entwickeln und nutzen können, zum Wohle ihrer Kunden und zu ihrem eigenen Vorteil. Ihre innovativen mobilen Werbeplattformen haben den Werbemarkt aufgemischt. Die Ausgaben für Online-Werbung sind 2017 um weltweit etwa 35 Prozent gestiegen.

In den USA entfallen 63 Prozent der Ausgaben für neue Digitalwerbung auf Google und Facebook. Die beiden Unternehmen nahmen 2017 außerdem 25 Prozent der weltweiten Werbeausgaben ein, aggregiert über alle Kanäle (Quelle: Zenithmedia).

Gewinner von heute Verlierer von morgen
Auch wenn die aktuellen Bewertungen von US-Technologieunternehmen gerechtfertigt scheinen, sind die Gewinner von heute bisweilen die Verlierer von morgen. Zwar sind die Bewertungen allein kein Risikofaktor, doch könnte es versteckte Risiken geben. Als Investoren müssen wir dies bedenken.

In einem Sektor, der sich derart schnell verändert, darf man unternehmensspezifische sowie regulatorische Risiken, neue disruptive Unternehmen und Stimmungsänderungen nicht ignorieren, wenn man Risiken und mögliche Erträge der dominierenden Technologieunternehmen analysiert. So interessant die Langfristaussichten amerikanischer Technologieaktien auch scheinen, so wählerisch muss man sein.

Flexibel überall Wachstumschancen nutzen
Angesichts des Mehrertrags so genannter Wachstumswerte fragen sich Investoren, ob sie jetzt noch in sie investieren sollen. Um einen langfristigen Wertzuwachs durch Investitionen in Aktien internationaler Unternehmen zu erzielen, sind insbesondere Unternehmen interessant, die wachsen und entsprechende Kennzahlen haben. Allerdings sollten ebenso Flexibilität und Diversifikation ein Portfolio anleiten, und nicht nur sogenannte Wachstumswerte.

Von: Martin Hole

Quelle: Das Investment

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