Das Investment: Pro & Contra Aktien Großbritannien: Verblasste Kronjuwelen oder bald keinen Penny mehr wert?

sjb_werbung_das_investment_300_200Am 23. Juni entscheidet sich, ob die Briten in der EU bleiben oder nicht. Viele Experten schätzen die Zukunft Großbritanniens im Falle eines Austritts durchaus als schwierig ein. Ein wichtiges Thema auch für Fondsmanager – die britische Aktien aber eher nach anderen Aspekten beurteilen.

Fifty fifty – so könnte man die Wahrscheinlichkeit des Ausgangs beim bevorstehenden Referendum in Großbritannien wohl am besten bezeichnen. Nach wie vor liegen Befürworter und Gegner eines Austritts aus der Europäischen Union in etwa gleichauf. Nur eine knappe Mehrheit der Briten würde derzeit für einen EU-Verbleib des Vereinigten Königreichs votieren. Zum Zünglein an der Waage könnten die Unentschlossenen werden, die das Ergebnis quasi in letzter Sekunde in die eine oder andere Richtung lenken können.

Auch die Meinungen der Finanzmarktteilnehmer gehen auseinander. Einer Umfrage des Fondsanbieters NN Investment Partners zufolge hält allerdings nur eine Minderheit der internationalen Investoren einen EU-Austritt Großbritanniens für wahrscheinlich. Wenngleich fast die Hälfte der Befragten einen solchen Brexit als ein erhebliches beziehungsweise sehr erhebliches Risiko für ihre Anlageportfolios nennen. Völlig offen ist auch, welche Auswirkungen ein Ausscheiden aus der EU auf wirtschaftlicher Ebene für Großbritannien hätte. Einige Experten rechnen mit weitreichenden Folgen.

Eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC im Auftrag des britischen Industrieverbandes ergab, dass sich die Kosten eines Brexits bis zum Jahr 2020 auf bis zu 100 Milliarden Pfund – umgerechnet 129 Milliarden Euro – aufsummieren könnten. Dementsprechend sprechen sich Vertreter britischer Wirtschaftsunternehmen – anders als die Bevölkerung – mehrheitlich gegen einen Austritt Großbritanniens aus der EU aus.

Und auch bei der OECD hat man nachgerechnet – der Organisation zufolge müsste jeder britische Haushalt 20 Jahre lang mindestens ein Monatsgehalt von durchschnittlich umgerechnet 2.840 Euro pro Jahr berappen, um den wirtschaftlichen Verlust auszugleichen. Die Frage lautet aber nicht nur, was mit Großbritannien im Falle eines Brexit passiert, sondern auch, welche Folgen dies für Europa insgesamt haben könnte. Denn für die EU ist Großbritannien einer der wichtigsten Handelspartner. Immerhin 53 Prozent der britischen Importe stammen vom europäischen Festland.

Mancher Marktbeobachter definiert den Brexit sogar als Tail-Risk, das erhebliche Auswirkungen auf die internationalen Finanzmärkte haben könnte. Auch der Internationale Währungsfonds warnt in seinem aktuellen World Economic Outlook vor „erheblichen regionalen und globalen Schäden“. Darin wird neben der schwächeren Wachstumsdynamik in China und der Flüchtlingskrise vor allem die Brexit-Gefahr als Grund für die eher gedämpften globalen Aussichten genannt.

Die seit Anfang 2015 geführte Debatte hat bereits ein Zittern bei Aktienanlegern ausgelöst. Um fast 12 Prozent ist der britische Leitindex FTSE 100 innerhalb eines Jahres gefallen. Mit ebenfalls 12 Prozent bewegt sich die Volatilität der britischen Währung auf einer Ebene, wie sie zuletzt im Zeitraum 2010 bis 2011 während der Krise der Staatsanleihen und Banken in der Eurozone zu beobachten war. Dies legt nahe, dass die Einstellung der Anleger zum Pfund Sterling ausgesprochen gedrückt ist.

Pessimistisch ist auch Robert Beer. Dabei steht für ihn die Frage „Bleiben oder gehen die Briten?“ gar nicht mal im Mittelpunkt. Der Manager des Lux Topic Aktien Europa erkennt eher grundsätzliche Faktoren in der Mentalität und Unternehmenskultur, die seines Erachtens hinderlich für eine langfristig positive Entwicklung der britischen Wirtschaft sind und ihn auf Abstand zu Insel-Aktien gehen lassen.

Ganz pragmatisch zeigt sich hingegen Luca Simoncelli. Der Manager des Uni-Global Cross Asset Navigator von Unigestion sieht einem möglichen EU-Ausstieg Großbritanniens gelassen entgegen. Er ist davon überzeugt, dass es ein „Leben nach dem Brexit“ geben würde und die Angelsachsen wirtschaftlich stark genug sind, um eine neue Rolle in einem Europa zu übernehmen, in dem keiner auf den anderen verzichten wolle und könne.

GRAFIK: Standort-Nachteil Großbritannien

PRO: “Breit aufgestellte britische Unternehmen bieten weiter gute Chancen”
Luca Simoncelli, Manager des Uni-Global Cross Asset Navigator

Für viele Anleger galt Großbritannien lange Jahre als sichere Bank. Das Vereinigte Königreich steht für Marktwirtschaft und Freihandel, für hohe Rechtsicherheit und ein vergleichsweise transparentes Steuersystem. Dazu kommen noch die wachsende Bevölkerungszahl und die grundsätzlich optimistische Grundeinstellung der Briten. Insgesamt also gute Voraussetzungen für ein Aktien-Investment.

Auch aktuell schlägt sich die britische Wirtschaft mehr als gut. Kaum ein anderes Land in der Eurozone wächst so stabil wie Großbritannien: Nach Angaben des britischen Statistikamtes stieg das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2015 um 2,3 Prozent, nach 2,9 Prozent in 2014 und 2,2 Prozent Wachstum in 2013. Für das laufende und das nächste Jahr erwarten die Experten der britischen Handelskammer BCC je eine Steigerung von 2,6 Prozent. Zum Vergleich: Für Deutschland erwartet der Internationale Währungsfonds deutlich geringere Steigerungsraten von jeweils 1,7 Prozent in den Jahren 2016 und 2017.

In kaum einem anderen Land der Welt ist es für Unternehmen so einfach, ihren Geschäften nachzugehen wie in Großbritannien. Im aktuellen Doing Business Ranking 2016 liegt das Königreich auf Rang 6 – und damit noch vor den USA und den skandinavischen Ländern. Weitere Pluspunkte: Der Immobilienmarkt auf der Insel boomt, das Konsumklima ist gut und die Inflation weder zu hoch noch zu niedrig. Also: Deutliche bessere Aussichten als auf vielen anderen Märkten weltweit.

Zugegeben: Wer derzeit in britische Aktien investieren will, braucht schon ein bisschen Mut. Viele Anleger sind trotz der soliden Fundamentaldaten wenig zuversichtlich und begründen dies unter anderem mit dem drohenden Brexit. Am meisten steht dabei für Großbritannien selbst auf dem Spiel.

Grund dafür ist das sogenannte Twin Deficit. Hauptsächlich besteht dies aus dem Leistungsbilanzdefizit, das mit mehr als 5 Prozent der Wirtschaftsleitung sehr hoch ist. Da die Briten mehr Güter und Dienstleistungen importieren als sie exportieren, sind sie besonders auf das Vertrauen ausländischer Investoren angewiesen. Hinzu kommt noch das Haushaltsdefizit, das mit fast 4 Prozent der Wirtschaftsleistung ebenfalls deutlich über dem europäischen Durchschnitt liegt.

An der Londoner Aktienbörse würden wohl eher die Nebenwerte unter einem Brexit leiden: Sie sind oft stärker vom Heimatmarkt abhängig als die Großkonzerne. Auch einige große Börsenwerte wären sicherlich betroffen. Grundsätzlich gilt jedoch: Je größer, desto besser – britische Unternehmen, die global breiter aufgestellt sind, bieten Anlegern auch weiterhin gute Chancen. Denn aktuellen Umfragen zufolge sinkt die Zahl der Brexit-Befürworter, während die Zahl derer, die in der EU bleiben wollen, steigt.

Nach unserer Einschätzung liegt die Wahrscheinlichkeit eines Austritts derzeit bei nur etwa 30 Prozent. Treten die Briten tatsächlich aus der EU aus, wäre mit einer Abwertung des Pfunds und deutlichen Kapitalabflüssen zu rechnen. Besonders belasten würde ein Brexit wahrscheinlich angelsächsische Finanzwerte. Gerade für den Finanzsektor bedeutet die britische EU-Mitgliedschaft viel. Neben New York ist die City of London wohl der derzeit wichtigste Finanzplatz weltweit.

Ein Rückzug der Finanzindustrie aus London wäre ein schwerer Schlag, denn Banken, Versicherungen und andere Finanzdienstleister tragen rund 12 Prozent zur gesamten Wirtschaftsleistung bei. Mit etwa 66 Milliarden Pfund im Jahr liefern sie mehr Steuern an den Staat als jede andere Branche auf der Insel. Es geht also um die Wurst.

So oder so – wir bei Unigestion bleiben pragmatisch. Im Hinblick auf die Interessen Großbritanniens macht es langfristig kaum einen Unterschied, ob das Land in der EU bleibt oder nicht. Sowohl Briten als auch Kontinentaleuropäer dürften darauf drängen, im Falle eines Brexit schnell neue Handelsabkommen zu vereinbaren.

CONTRA: “Die britische Wirtschaft hat ein Mentalitätsproblem.”
Robert Beer, Manager des Lux Topic Aktien Europa

Den Brexit gab es quasi schon immer – und zwar auf den Speisekarten. Die Briten unterscheiden aber nicht nur beim Frühstück zwischen sich selbst und dem Kontinent. Sicher, die Ängste vor einem Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union geben den Aktien- und Devisenmärkten einen Grund zum Schwanken. Doch nicht nur das Brexit-Szenario spricht derzeit gegen ein Engagement in britischen Aktien.

Anleger, die in Unternehmen der Eurozone investieren, partizipieren an der Wertentwicklung britischer Aktien grundsätzlich immer ein Stück weit mit aufgrund von Fusionen und Zukäufen sowie der Verflechtungen der Geschäftsbeziehungen. Wir sind der Ansicht, dass ein solches indirektes Investment auch völlig ausreicht. Denn die Fundamentaldaten sind nicht überzeugend. Im Februar fiel der Index für das verarbeitende Gewerbe auf der Insel zum Beispiel auf seinen tiefsten Stand seit März 2013.

„Großbritannien befindet sich seit dem Zweiten Weltkrieg in einem kontrollierten Abstieg. Die britischen Männer leben stellvertretend für ihre liebste Fußballmannschaft, feiern ihre Erfolge mit ein paar Bier und spülen den Frust nach Niederlagen ebenfalls mit ein paar Bier wieder herunter“, schreibt Twitterer und Ex-Goldman Sachs-Banker John LeFevre in seinem Bestseller Ab in die Hölle über seine Zeit in Großbritannien. Er nennt nach einigen sehr deftigen Passagen folgendes Beispiel: „Sogar die britischen Fernsehsendungen sind Symbole für die mediokre Mentalität im Land.“

Vor allem eines wird aus unserer Sicht bei einer Anlage in britischen Aktien unterschätzt: das Währungsrisiko. 2015 hatte den Anlegern das stärker werdende Pfund gegenüber dem Euro in die Hände gespielt. In diesem Jahr hat sich die Währung genau umgekehrt verhalten, und die Währungsgewinne vom vergangenen Jahr sind nicht nur weg, sondern wandeln sich nun in Verluste. Zusätzlich wird das britische Pfund von den Brexit-Ängsten belastet. Wechselkurseffekte könnten sogar noch stärker negativ ins Gewicht fallen, wenn der Euro seine alten Höchststände erreicht.

Großbritannien ist zudem zentralistisch ausgerichtet. Wer schon einmal morgens in der Londoner U-Bahn gesessen hat, hat ein sehr plastisches Bild vor Augen: Ein großer Teil der Ertragskraft und der Wirtschaft konzentriert sich auf relativ engen Raum. Wenn Klumpenrisiken bei Aktien nicht das Klügste sind, dürfte das doch auch für die Realität im täglichen Alltag gelten. Aufgrund der immer weiter steigenden Mieten werden die Arbeitswege immer länger. Ein Zeitaufwand von vier Stunden oder mehr pro Tag ist bei den Briten mittlerweile normal, um zum Job und wieder zurück zu gelangen.

In britischen Unternehmen arbeiten also Menschen, die allein schon aufgrund des täglichen Weges zur Arbeit erschöpfter und weniger motiviert sind. Und es gibt etwas, das man als ausländischer Geschäftspartner sofort bemerkt, ohne dort zu sein: Die mangelnde Bereitschaft, verbindliche Auskünfte zu geben und Verantwortung zu übernehmen. Genau das gehört aber sehr oft zur Firmenkultur. Die halbe Abteilung bei Emails in „cc“ zu setzen, ist etwas typisch Britisches. Der vom Pendeln ohnehin erschöpfte Arbeitnehmer wird also zwangsläufig mit überflüssigen E-Mails überschwemmt, die ihn von seinen eigentlichen Aufgaben abhalten.

Ein weiteres Phänomen ist, dass bei Nachfragen grundsätzlich nichts ein Problem ist, aber konkrete Antworten selten gegeben werden. Durch die Hire-and Fire-Mentalität, die das britische Arbeitsrecht dank eines nahezu nicht existenten Kündigungsschutzes fördert, ist die Unsicherheit natürlich groß und die Neigung, sich zu sehr aus dem Fenster zu hängen gering. All das sind lediglich ein paar softe Faktoren, die aber stark am nachhaltigen Fundament der Volkswirtschaft in Großbritannien zweifeln lassen.

Von: Carsten Krüger

Quelle: DAS INVESTMENT.

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