Das Investment: Degussa-Chefvolkswirt: So sorgen Politiker und Notenbanken für Marktverzerrungen

sjb_werbung_das_investment_300_200Die Eingriffe der Politik haben in den Finanzmärkten Verzerrungen und Anomalien hervorgerufen. Anleger sollten Vorsicht walten lassen.

Die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise, die 2008/2009 die Weltwirtschaft erfasst hat, ist nicht vorbei – auch wenn sich die Konjunktur in vielen Ländern seither scheinbar erholt hat.

Die Besserung ist nämlich durch eine ungewöhnliche Politik zustandegekommen, die die Zinsen extrem herabgedrückt und die (Basis-) Geldmengen kräftig vermehrt hat. Zudem wurde die Regulierung kräftig ausgeweitet.

Das alles hat die Finanzmarktpreise verfälscht. Sie gaukeln etwas vor, das in der Realität, bei klarer Sicht der Dinge, keine Entsprechung hat. Die Finanzmärkte sind zu einem Spiegelkabinett mutiert.

Aber nicht nur die Preise der Finanztitel sind verzerrt. Mittlerweile sind es vermutlich auch deren Werte: Es wird immer schwieriger zu sagen, was eine Anlage – ob Aktie, Anleihe oder Gold – denn wirklich wert ist.

Um Orientierung zu finden, werden im Folgenden auffällige Geschehnisse in den internationalen Finanzmärkten aufgezeigt. Wir beginnen mit der wohl wichtigsten Größe im Finanzmarkt: dem Zins.

1. Die langfristigen US-Marktzinsen, die maßgeblich das weltweite Zinsumfeld bestimmen, befinden sich nach wie vor auf sehr niedrigen Niveaus – obwohl die US-Zentralbank (Fed) Zinserhöhungen in Aussicht gestellt hat.

GRAFIK: Der langfristige Trend der Zinsen zeigt nach oben

Offensichtlich rechnen die Finanzmärkte nicht mit einer wirklichen Abkehr von der Niedrigzinspolitik; dass eine Leitzinserhöhung, wenn sie denn wirklich kommt, nur gering ausfallen wird.

2. Künstlich niedrig gedrückte Zinsen bedeuten inflationierte Anleihekurse. In den Bilanzen der Finanzinstitute werden Scheingewinne ausgewiesen, wenn Anleihen zu Marktwerten („mark-to-market“) ausgewiesen werden.

Hinzu kommt, dass auf den Kreditmärkten Staatsanleihen zu Besicherungszwecken eingesetzt werden. Dadurch wird die Inflationierung der Staatsschul-den in alle anderen Kredit- und Derivativmärkte hingetragen.

GRAFIK: Hohe Bewertung – inflationierte Anleihekurse

3. Die sogenannten „Swap“-Zinsen sind mittlerweile unter die Zinsen der US-Staatsanleihen gefallen. Das ist eine große „Anomalie“ – schließlich gelten doch die US-Staatsanleihen als die sichersten Papiere.

Swap-Zinsen – eine ganz wichtige Größe in den Kreditmärkten – werden von Banken, Unternehmen und Staaten gezahlt, um feste Zinszahlungen in variable zu tauschen. Fallende Swap-Zinsen verbilligen die Verschuldungskosten.

Warum liegen die Swap-Zinsen unter den Zinsen für US-Staatsanleihen? Vermutlich spielen neue Regularien eine entscheidende Rolle: Banken wollen weniger Anleihen halten – und vermehrt Transaktionen über die Derivatmärkte und nicht über die Kassa-Anleihenmärkte abwickeln.

GRAFIK: “Große Anomalie” im US-Kreditmarkt

4. Investoren sind wieder zurückhaltender geworden, europäischen Banken US-Dollar zu leihen. Offensichtlich sehen sie die Euro-Banken als zusehends risikoreicher an.

Für Euro-Banken ist es wieder schwieriger beziehungsweise teurer geworden, sich US-Dollar auf dem Kreditwege zu beschaffen. Ihr Zugang zur internationalen Reservewährung hat sich verschlechtert.

GRAFIK: Zweifel an den Euro-Banken nehmen wieder zu

5. Der chinesische Aktienmarkt hat jüngst eine heftige Berg- und Talfahrt gezeigt. Auffällig dabei war der Gleichlauf zwischen Aktienkursen und kreditfinanzierten Aktienkäufen („Margin Debt“).

GRAFIK: Kreditgetriebener Aktienboom in China

Die Verdopplung der Aktienkurse von November 2014 bis Mitte Juni 2015 war besonders eng verbunden mit einem beträchtlichen Anwachsen der auf Kredit finanzierten Handelsaktivitäten.

Die Korrektur, die ab Mitte 2015 einsetzte, scheint nun vorüber zu sein. Seit Ende September steigen jedoch die kreditfinanzierten Käufe wieder an – und mit ihnen steigen die Aktienkurse wieder in die Höhe.

6. Nicht nur für die Aktienmarktentwicklung in China scheint der Rückgriff auf günstigen Kredit von großer Bedeutung zu sein. Gleiches gilt auch mit Blick auf die Konjunkturlage.

Spätestens seit Anfang 2010 ist allerdings die Wachstumsrate des chinesischen Bruttoinlandsproduktes (BIP) gefallen, während die Verschuldung pro BIP merklich angestiegen ist. Das lässt zweierlei Deutungen zu.

GRAFIK: Weniger Wachstum trotz höherer Schulden in China

Die eine ist, dass die chinesische Wirtschaft immer mehr Kredit braucht, um einen Prozentpunkt Wachstum zu erzielen. Die andere ist, dass die aufgelaufene Verschuldung das Wirtschaftswachstum belastet.

7. Seit etwa Mitte 2014 sinken die chinesischen Währungsreserven. Offensichtlich verlässt Kapital das Land, und die chinesische Regierung versucht, sich gegen eine Abwertung des Renminbi-Wechselkurses zu stemmen.

Zwar hat sie Mitte August eine Abwertung von etwa 3 Prozent gegenüber dem US-Dollar zugelassen. Ob damit schon der Abwärtsdruck von der chinesischen Währung genommen wurde, ist jedoch unwahrscheinlich.

GRAFIK: Chinesische Währung unter Abwertungsdruck

Eine weitere Abwertung des Renminbi wäre folgenreich für die Weltwirtschaft: Sie würde die Wettbewerbssituation vieler Unternehmen in der westlichen Welt verschlechtern – mit negativen Folgen für Aktienkurse und Kreditrisiken.

8. Die Handelsaktivitäten in vielen Finanzmarktsegmenten haben abgenommen, vor allem auch weil sich Banken (aufgrund der anwachsenden Regulierung) aus Geschäftsbereichen zurückgezogen haben.

Der kometenhafte Aufstieg des S&P 500 seit März 2009 ist einhergegangen mit einem Rückgang der Anzahl der gehandelten Aktien. Dies lässt tendenziell auf rückläufige Marktliquidität schließen.

GRAFIK: Liquidität im US-Aktienmarkt hat abgenommen

Dies legt nahe, dass in einer möglichen Korrekturphase die Aktienkurse stark zurückgehen könnten: Bei einer kräftigen Verkaufswelle findet der Aktienmarkt sein neues Gleichgewicht nur bei merklich niedrigeren Kursen.

9. Die Liquidität eines Marktes lässt sich auch mit der Spanne zwischen An- und Verkaufspreisen bemessen. Je geringer (höher) die Spanne ausfällt, desto liquider (weniger liquide) ist der Markt.

Ein Blick auf den physischen Goldmarkt zeigt hier ein recht positives Bild: In den letzten Jahren ist die Spanne tendenziell abgesunken (wenngleich es auch hier zeitweilig einige Ausschläge gegeben hat).

GRAFIK: Die Liquidität des Goldmarktes hat sich immer mehr verbessert

Es scheint also um die Liquidität des physischen Goldmarktes gut bestellt zu sein – und das stützt den populären Ausspruch, dass Gold immer als Geld akzeptiert wird, auch und gerade in schwierigen Marktphasen.

Konsequenzen

Der vorangegangene Blick auf ausgewählte aktuelle Geschehnisse in den Finanzmärkten hat einige Anomalien und Verzerrungen aufgezeigt. Das sollte für Anleger ein Warnsignal sein. Die Geldpolitik der extrem niedrigen Zinsen und der Geldmengenvermehrung, verbunden mit einer Vielzahl von Regularien, scheint das traditionelle Preis- und Marktgefüge stark zu verzerren.

Vor allem die Niedrigzinsen, für die die Zentralbanken sorgen, verfälschen die Finanzmarktpreise und damit letztlich auch alle anderen Preise in der Volkswirtschaft. Unter diesen Bedingungen laufen Fehlentwicklungen auf.

Sie treten solange nicht in Erscheinung, wie die Zinsen nicht steigen – beziehungsweise wie sie daran gehindert werden, auf ihr „natürliches Niveau“ zurückzukehren. Ein Anheben der Zinsen, wie es die US-Zentralbank (Fed) jetzt in Aussicht stellt, wird wohl nicht möglich sein, ohne erhebliche Verwerfungen in den Finanzmärkten und Konjunkturen zu verursachen.

Beide hängen nämlich mehr denn je von der Niedrigzinspolitik und dem Zufluss von mehr Kredit und mehr Geld ab – wie die nachstehende Grafik beispielhaft illustriert.

GRAFIK: Wachsende Kredit- und Geldmenge, steigende Aktienkurse

Die Entscheidung, den Kreditboom und damit das Weltfinanzsystem vor dem Zusammenbruch zu bewahren, ist bereits im Jahr 2008 gefallen – als die US-Zentralbank in die ultralockere Geldpolitik eingestiegen ist. Das Motto in den wichtigen Zentralbanken der Welt lautet nunmehr „Weiter so“.

Das macht eine wirkliche Abkehr von der Niedrigzinspolitik im Grunde unmöglich. Früher oder später wird ersichtlich werden, dass die US-Leitzinsen nicht, oder wenn, dann nur in einer homöopathischen Dosis, angehoben werden. Und spätestens dann dürfte sich auch die Nachfrage nach Gold wieder beleben und den Goldpreis in die Höhe befördern.

Von: Thorsten Polleit

Quelle: DAS INVESTMENT.

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