Das Investment: Einschätzungen zu den Spannungen zwischen der Ukraine und Russland

sjb_werbung_das_investment_300_200 SJB | Korschenbroich, 04.03.2014. Die Situation in der Ukraine spitzt sich zu. Die Halbinsel Krim wird zum Knackpunkt der russisch/europäischen Beziehungen.

Asoka Wöhrmann, Co-Chef Deutsche Asset & Wealth Management, und weitere Experten über die Auswirkungen für die Wirtschaft und die Finanzmärkte.

Asoka Wöhrmann, Co-Chef Deutsche Asset & Wealth Management

Die jüngsten Aktivitäten haben die Situation verschärft und das Zerwürfnis zwischen der Ukraine und Russland vergrößert. Die neue Regierung der Ukraine protestiert scharf gegen die de-facto Invasion Russlands auf der Krim, erscheint aber zu schwach, um sie zu stoppen. Russland bestreitet die Legitimität dieser Regierung und nennt den Schutz russischer Bürger als Hauptgrund für die Intervention.

Präsident Putin hat die Zustimmung des Parlaments für den Einsatz von Truppen in der Ukraine erhalten, aber laut russischen Offiziellen bedeutet das nicht unbedingt, dass er sie nutzen wird. Putin hat im Krim-Konflikt die Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung. Das gilt wahrscheinlich nicht für die östlichen Provinzen der Ukraine.

Bewaffnete Kräfte ohne Hoheitszeichen, die aber weitgehend als russische Truppen gelten, haben alle wichtigen Verwaltungs- und Infrastruktureinrichtungen der Krim besetzt. Die Verbindung zwischen der Halbinsel und dem ukrainischen Festland ist unter Kontrolle russlandfreundlicher Truppen, was faktisch bedeutet, dass die Krim vom Rest des Landes abgeschnitten ist.

Ein Referendum über die Zukunft der Region wird am 30. März stattfinden, mit hoher Wahrscheinlichkeit eines pro-russischen Ausgangs. Es kam zu zahlreichen pro-russischen Kundgebungen in Donezk, Lugansk und Charkiw, dem Industriezentrum der Ukraine.

Die US-Regierung schickte scharfe verbale Warnungen und drohte Sanktionen und Isolation an. Die EU hat die Ereignisse ebenfalls verurteilt, allerdings weniger scharf als die USA. China gibt mehrdeutige Statements ab, aber unterstützt die Idee territorialer Integrität. Der Konflikt dürfte insbesondere eine Angelegenheit zwischen Russland und dem Westen werden.

Unsere Grundannahmen und Einschätzungen

Die Situation bleibt im Fluss, scheint aber vergleichbar mit dem früheren Konflikt zwischen Russland und Georgien.

Es wäre möglich, dass die Krim künftig nicht mehr von der Ukraine aus regiert wird, aber offiziell auch nicht von Moskau. Vieles spricht für den Status einer Sonderzone unter starkem russischen Einfluss. Höchstwahrscheinlich wird es nicht zu einer Invasion Russlands auf dem ukrainischen Festland kommen und ein militärischer Konflikt wird vermieden.

Die Atmosphäre zwischen Russland und der Ukraine sowie dem Westen könnte für eine längere Zeit belastet sein.

Ein Zahlungsausfall der Ukraine dürfte höchstwahrscheinlich vermieden werden, da die USA, Westeuropa und der IWF Unterstützung signalisiert haben.

Die Finanzmärkte Russlands und der Ukraine dürften am stärksten betroffen sein, weitreichende Ansteckungseffekte über verschiedene Anlageklassen sind möglich, jedoch unterschiedlich ausgeprägt.

Russische Energieproduzenten werden vor allem im Fall von Zahlungsverzögerungen/-ausfällen für Gaslieferungen in die Ukraine belastet. Globale Rentenmärkte haben ein eher geringes Ansteckungsrisiko, es sein denn die Krise verschärft sich und mündet in einen militärischen Konflikt. Globale Aktienmärkte sollten jedoch nahe der Allzeithochs eng auf breitere Ansteckungseffekte infolge Risikobewusstsein/-aversion überwacht werden. Globale Devisenmärkte sehen wir als „sichere Häfen“. Der US-Dollar, der Yen und die Schweizer Franken dürften Unterstützung erhalten, wogegen die EM-Währung unter Druck bleiben dürfte.

Szenarien

Russland hat scheinbar mit den jüngsten Aktivitäten eine Linie gezogen, um seine strategischen Interessen im Schwarzen Meer und insbesondere auf der Krim zu untermauern.

Falls die Situation nur auf die Krim begrenzt bleibt und es zu keiner weiteren Intervention auf dem ukrainischen Festland kommt, dürften die Finanzmärkte das Ereignis als lokal ansehen und die globale Ansteckung sollte begrenzt bleiben bzw. nach anfänglichem Aufflackern zurückgehen.

Russische Finanz-Anlagen dürften unter Druck bleiben, etwa 70 Prozent des russischen Aktienmarktes sind in ausländischer Hand.

Mögliche Sanktionen westlicher Länder dürften wegen der Abhängigkeit vor allem Europas von russischen Gaslieferungen sorgfältig abgewogen werden. Gleichwohl verursacht die Situation eine anhaltende Belastung mit jederzeitiger Gefahr einer Verschärfung. In diesem Fall stellt sie ein globales Risikoszenario dar.

Das Risikoszenario beinhaltet eine militärische Invasion in den östlichen Teilen der Ukraine. Vor dem Hintergrund der angespannten Lage und erhöhter Befindlichkeiten birgt dieses Risiko die Gefahr weitreichenderer Ansteckungseffekte, auch wenn das derzeit nicht das Basisszenario ist.

Schlussfolgerung

Die gesamte Lage verheißt vor allem für russische Anlagen nicht Gutes, aber auch für die gesamte Region Osteuropa inklusive Türkei (12 Prozent der Krimbevölkerung sind Tataren mit historisch enger Bindung an die Türkei und einer Abneigung gegenüber Russland).

Ansteckungseffekte an den Finanzmärkten könnten sich über verschiedene Anlageklasse und Regionen ausweiten. Die Finanzmärkte Russlands und der Ukraine dürften unter Verkaufsdruck bleiben. Rentenmärkte mit eher geringer Ansteckungs-Gefahr, es sein denn die Krise verschärft sich und mündet in einen militärischen Konflikt.

Aktienmärkte sollten nahe der Allzeithochs eng auf breitere Ansteckungseffekte infolge Risikobewusstsein/-aversion überwacht werden. Gleichwohl sehen wir für den Fall, dass die Situation auf die Krim begrenzt bleibt und es zu keiner weiteren Intervention auf dem ukrainischen Festland kommt, einen Rücksetzer als Chance, neue Positionen aufzubauen.

Globale Devisenmärkte sehen wir als „sichere Häfen“. Der US-Dollar, der Yen und die Schweizer Franken dürften Unterstützung erhalten, wogegen die EM-Währung unter Druck bleiben dürfte

Wir bleiben aktuell über die verschiedenen Anlageklassen hinweg zurückhaltend gegenüber Schwellenländern und unterstreichen unsere eher zurückhaltende Einstellung gegenüber einer aktiven Positionierung im Allgemeinen – auch vor dem Hintergrund eingehender „harter“ Wirtschaftsdaten aus China sowie den witterungsbedingten Verzerrungen in den USA.

Wayne Lin, Portfoliomanager bei Legg Mason Global Asset Allocation

Die Geschehnisse in der Ukraine und Russlands Entscheidung für militärische Mittel begründen eine große Unsicherheit in diesem Teil der Welt. Unsicherheit ist schlecht für die Wirtschaft und die Finanzmärkte. Die Reaktion der Weltgemeinschaft auf Russlands militärischen Einsatz werden wohl Sanktionen sein, um den Druck auf die russische Wirtschaft zu erhöhen.

Solange der Konflikt nicht gelöst ist, werden Investoren das Risiko mehr scheuen. Dies wird den russischen und europäischen Finanzmarkt drücken. Außerdem besteht durch die Situation in der Ukraine für andere Schwellenländer Ansteckungsgefahr.

Wie immer in solchen Situationen ist das Ausfallsrisiko schwer vorherzusagen. Investoren sollten jedoch mögliche Sanktionen und den Abfluss aus Schwellenländer-Aktien im Auge behalten.

Auch wir werden die Situation genau beobachten. Bisher haben wir nichts an unseren Portfolios geändert.

Craig Botham, Schwellenländer-Volkswirt beim britischen Fondsanbieter Schroders

Auch wenn ich kein Politik-Experte bin, da ist mehr als ein Echo von Georgien in den aktuellen Ereignissen. Mit dem Unterschied, dass die Ukraine größere politische Bedeutung für beide Seiten hat. Die Ukraine und Russland sind geschichtlich miteinander verbunden. Kiewer Rus war in vielerlei Hinsicht der Geburtsort des russischen Staates.

Putin hat die Unterstützung der Bevölkerung auf der Krim und in Teilen der östlichen Ukraine. Er könnte hoffen, eine Teilung der Ukraine herbeizuführen – ähnlich wie er es mit Süd-Ossetien und Abchasien in Georgien getan hat.

Lange Zeit hat Putin versucht, eine Eurasische Zollunion zu bilden – nach dem sowjetischen Vorbild. Wird er es nicht mit sanfter Gewalt erreichen, könnte es sein, dass er gerne zu härteren Mitteln greift. Durch seine Provokation könnte er Kiew und dem Westen mehr Kompromisse abringen – wie eine selbstverwaltete Krim und anderen Russisch sprechenden Regionen.

Rational gesehen erscheint es nicht sinnvoll, dass Russland sich der Unabhängigkeit der Ukraine entgegensetzt, Sanktionen – sowohl beim Handel als auch in der Politik – in Kauf nimmt und Ansprüche auf das eigene Territorium herausfordert. Das erscheint geopolitisch nicht sinnvoll. Die Machtdemonstration könnte lediglich dazu dienen, dass Putin sein Image als starker Mann und Verteidiger Russlands im eigenen Land stärkt.

Dass es zu Sanktionen kommen wird, ist wahrscheinlich. Es ist schwierig zu spekulieren, wie weit der Westen gehen wird. Ein Einreiseverbot für die russische Oberschicht nach Europa ist jedoch denkbar, ebenso Handelsembargos und Ausweisungen von Diplomaten. Es gibt eine winzige Chance, dass man versuchen wird, Russland so zu isolieren wie den Iran. Hierdurch könnte die Situation jedoch eskalieren. Fällt Russland tiefer in die Ukraine ein – über die Krim hinaus -, wird dies jedoch wahrscheinlicher.

Russlands größte Exporte drehen sich rund ums Öl. Mögliche Sanktionen würden also die Energiekosten hochtreiben und zu einem stagflationären Schock der weltweiten Wirtschaft führen. Die Ukraine ist ein führender Weizenproduzent, weshalb auch die Nahrungsmittelpreise steigen würden. Aussagen zur Gas-Situation sind schon schwieriger. Keiner hätte ein Interesse daran, den Hahn zuzudrehen. Russland will möglichen Sanktionen nicht zuvorkommen, die Ukraine will die europäischen Verbündeten nicht verärgern oder Russland weiter provozieren und die EU will keine höheren Energiepreise. In einer rationalen Welt würde das Gas weiter fließen bis Handelssanktionen feststünden.

Die Sorge über steigende Energie- und Nahrungsmittelkosten dürfte die Marktstimmung global trüben – vor allem aber in den betroffenen Regionen. Die Märkte und Währungen Zentral- und Osteuropas werden wohl leiden, ebenso Länder, die von Energieimporten abhängig sind – wie die Schwellenländer und vor allem Indien. Auf dem breiten Rohstoffmarkt wird es zu Preiserhöhungen kommen. Die Rolle der Ukraine als Weizenproduzent wird die Agrar-Preise hochdrücken, die Unsicherheit über Öl- und Gas-Lieferungen das gleiche im Energiesektor zur Folge haben. Kurzfristig könnte dies Rohstoff-Exporteure unterstützen, wenn sie energieunabhängig sind.

Plamen Monovski, Investmentchef bei Renaissance Asset Management

Die Pattsituation zwischen Russland und der Ukraine (und dem Rest der Welt) hat sich sehr schnell entwickelt. Die Situation ist unberechenbar und wir sollten nicht so tun, als wäre es einfach, beiden Seiten nachzukommen.

Es gibt keinen Zweifel, dass niemand – auch Russland nicht – einen militärischen Konflikt will, der sehr kostspielig für alle Seiten werden könnte. Anders als Georgien ist die Ukraine kein Schwächling – mit 150.000 Soldaten und rund eine Million Reservisten. Außerdem gibt es auf beiden Seiten der Grenze eine überschaubare Anzahl von para-militärischen Gruppen, die gerne Chaos in jegliche Entwicklungen militärischer Strategien bringen würden. Es ist nur logisch, hier eine langatmige diplomatische Auseinandersetzung um die Ukraine zu erwarten.

Obwohl es so aussieht, als habe der Kreml den Westen – inklusive der unentschlossenen US-Führung – überlistet, ist Russland in keiner einfachen Lage. Es ist fast sicher, dass Russland seinen vollwertigen Status als G8-Partner verlieren wird. Wenn es zur weiteren Eskalation kommt, wäre ich nicht überrascht, wenn Russland aus dem Club der entwickelten westlichen Demokratien ausgeschlossen würde. Dies wäre wohl begleitet von weitaus drastischeren Maßnahmen um den Zugang von Russlands Banken, Oligarchen, Unternehmen und der Regierung zu den internationalen Finanzmärkten zu begrenzen. Es könnte auch gemeinsame Bemühung geben, die Kapitaleinlagen von russischen Oligarchen in westlichen Banken aufzudecken, nur um das Vermögen dann in einer weiteren Aktion  einzufrieren.

Die USA könnten die Liste der russischen Beamten, die unter den sogenannten Magnitsky Act fallen (Sperre für amerikanische Visen) ausweiten und Vermögen einfrieren – auch Putins. Auch die EU kann das. Wir sollten nicht vergessen, dass die USA – zusammen mit Großbritannien und Moskau – 1994 versprochen haben, die territoriale Integrität der Ukraine zu gewährleisten, wenn die Ukraine ihre Nuklearwaffen an Russland übergibt (Budapester Memorandum). Der Westen behauptet nun, Russland habe dieses Abkommen missachtet, weshalb es hinfällig sei.

Kämen diese Sanktionen, würden sie schmerzen. Die russische Wirtschaft ist jetzt schwächer als 2008. Die Auslandsschulden werden zu 70 Prozent von Reserven gedeckt (2009 waren es 100 Prozent). Der momentane Leistungsbilanzüberschuss ist kleiner und die Gewinnschwelle des Haushalts beinahe doppelt so hoch.

Dabei sollten wir jedoch zur Kenntnis nehmen, dass die russische Wirtschaft unserer Ansicht nach nicht wegen struktureller Probleme abgebaut hat – wie es viele andere Kommentatoren glauben -, sondern aufgrund der fehlgeleiteten Geldpolitik der russischen Zentralbank (CBR), die den Rubel unabsichtlich schwächte. Die CBR hat die Macht, diese Politik sehr schnell zu ändern. Sie wird aber wohl daran festhalten, die Leitzinsen zu erhöhen, um die Währung zu stabilisieren.

Der große Unterschied zu 2008/2009 ist der Ölpreis, der viel höher ist und heute vorhersehbar nach oben schoss – wie er es jedes Mal tut, wenn es politische Probleme in einer führenden Öl-Region der Welt gibt.

Das Wachstum des russischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) wird sich wohl ins Negative kehren, wenn wir uns die negative Rückkopplungsschleife aus hohen Leitzinsen, schwächerer Währung und erschüttertem Vertrauen vor Augen führen. Finanztitel und Aktien lokal ausgerichteter Unternehmen werden wohl niedrigere Gewinne einfahren und hinter den Erwartungen zurückbleiben. Wie wir oft diskutiert haben, war Russland in der Gesamtbewertung vor den Ereignissen billig. Dies lässt sich auf die Large Caps (Aktiengesellschaften mit einer besonders hohen Marktkapitalisierung) zurückführen; Konsum- und Tech-Titel waren in der wachsenden, teureren Kategorie.

Wir haben Russland im Februar untergewichtet – vor allem, da wir nach dem Ausverkauf in der Türkei einen besseren relativen Wert dort gesehen haben. Heute sehen wir eine dramatische Talfahrt am russischen Markt, da lokale Investoren sich aufgrund immenser Nachschussaufforderungen zurückgezogen haben. Dem folgen typischerweise ausländische Investoren, die den Markt übergewichtet hatten. Diese Kapitulation führt zusammen mit dem schwachen Rubel und niedrigverzinsten Anleihen zu antizyklischen Gelegenheiten für jeden, der sich ein längerfristiges Engagement leisten kann. Wir werden diese beleuchten, sobald sie aufkommen.

Ich glaube, dass eine geopolitische Zerrüttung wie diese, die Fed dazu bringen wird, ihr Tapering – also die Rücknahme der geldpolitischen Lockerung – zu verlangsamen. Das wird den Asset-Preisen nach den Panikverkäufen wegen der politischen Spannung wieder auf die Beine helfen.

Von: Annika Teerling

Quelle: DAS INVESTMENT.

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