Das Investment: Vietnam bietet mehr als nur ein Wirtschaftswunder

Vietnam hat von seiner Unabhängigkeit 1945 bis heute eine Erfolgsgeschichte hingelegt. Das Land profitiere auch aktuell vom Handelskonflikt zwischen den USA und China, urteilt Sven Schubert. Der Anlagestratege von Vontobel Asset Management rät: Anleger können in Vietnam auf solide Fundamentaldaten und Wachstum zählen.

Die Voraussetzungen für Vietnam in den 1980er-Jahren hätten kaum schwieriger sein können. Nach einem zermürbenden 20-jährigen Krieg war das Land wirtschaftlich am Boden. Es folgte eine Phase des ökonomischen Zusammenbruchs mit Inflationsraten von über 300 Prozent. Zudem zwang eine schwere Hungersnot Vietnam dazu, große Mengen an Reis für die Versorgung der Bevölkerung zu importieren. Lediglich die finanzielle Unterstützung des Kriegsbruders Nordvietnams und der Sowjetunion hielt die Wirtschaft am Leben.

Das Jahr 1986 brachte für Vietnam jedoch die Wende, denn die Wirtschaftsreform „Doi Moi“ leitete den Übergang von einer zentralistischen Planwirtschaft zu einer sozialistischen Marktwirtschaft ein. Die Kernelemente der Landwirtschaftsreform, Kapitalmarkt- und Gütermarktliberalisierung sowie eine Bildungsreform sorgten innerhalb von lediglich 20 Jahren für den beeindruckenden Aufstieg Vietnams.

 

Vietnam profitiert vom Handelsstreit

Während die Landwirtschafts- und Bildungsreform den Grundstein für die Wende im Inland legten, sorgte die rasche Integration Vietnams in die Weltwirtschaft, welche im Jahr 2007 mit der Aufnahme in die Welthandelsorganisation (WTO) gipfelte, für das notwendige Kapital und Know-how zur Umgestaltung der vietnamesischen Volkswirtschaft. Die Industrie sowie der Dienstleistungssektor begannen schon in den frühen 1990er-Jahren die Wirtschaft zu dominieren. Dabei ist der Anteil der Exporte von Gütern und Dienstleistungen zwischen 1986 und heute von 7 Prozent auf 110 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) gestiegen.

Lediglich die Handelsdrehkreuze Hong Kong und Singapur weisen einen höheren Exportanteil auf. Der steigende Wohlstand Chinas und anderer asiatischer Länder sorgte zudem für eine Auslagerung von Produktionskapazitäten nach Vietnam. So produziert Samsung heute beispielsweise den größten Teil seiner Mobilfunktelefonteile in Vietnam. Doch auch die Entwicklung des realen Wirtschaftswachstums ist bemerkenswert. Verzeichnete das Land zwischen 1970 und 1986 noch ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 5 Prozent, ist dieses zwischen 1986 und heute auf 6,7 Prozent gestiegen.

„Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte“: Dieses Sprichwort ist für Vietnam unlängst zur Realität geworden, da das Land einer der Hauptprofiteure des Handelskonflikts zwischen den USA und China ist. Auch wenn der Konflikt erst unter US-Präsident Donald Trump zu eskalieren begann, so reicht die Liste der verhängten Zölle auf chinesische Erzeugnisse bis in die Amtszeit von US-Präsident Barack Obama zurück.

Um die US-Importzölle zu umgehen, haben eine Reihe von in China produzierenden Unternehmen ihre Kapazitäten ins Nachbarland Vietnam verlagert – ein Trend, der sich über die vergangenen Jahre hinweg noch verstärkt hat. Auch wenn US-Importe aus Vietnam eine verhältnismäßig kleine Rolle spielen, so konnte Vietnam in den vergangenen zehn Jahren für eine ganze Reihe von Konsumgütern wie Fahrräder oder Waschmaschinen einen signifikanten Marktanteil in den USA erlangen, was auch in Washington D.C. für Stirnrunzeln sorgt.

 

Vietnam außerhalb des Radars

Hinzu kommt, dass Vietnam mit einem bilateralen Handelsüberschuss mit den USA von 67 Milliarden US-Dollar und einem vietnamesischen Leistungsbilanzüberschuss von knapp 4 Prozent zum BIP derzeit zwei der drei Kriterien erfüllt, welche das US-Treasury zur Identifizierung von Währungsmanipulatoren heranzieht. Somit könnte Vietnam im kommenden Treasury-Bericht auf die Beobachtungsliste der US-Regierung gesetzt werden.

Auch wenn dies Vietnam in den Fokus von US-Präsident Donald Trump rücken würde, sind wohl keine unmittelbaren Konsequenzen zu erwarten. In den US-Wahlen dürfte sich Donald Trump, bei einer anhaltenden Umfrageflaute, eher auf Maßnahmen gegen China konzentrieren. Die kürzlich ausgesprochenen Verbannungen des chinesisches Videoportals Tiktok und des Chat-Dienstleisters We-Chat vom US-Markt sind ein Indiz für den von Donald Trump gewählten Fokus.

Selbst für den Fall von Strafzöllen gegenüber Vietnam dürfte dies der Erfolgsgeschichte des Landes kaum einen Abbruch tun. Denn die zwei wichtigsten Langfristtreiber für Wirtschaftswachstum und Aktienmarktentwicklung aus Top-down-Sicht sprechen weiterhin für Vietnam: In der längeren Frist sind Bevölkerungs- und Beschäftigungswachstum sowie Produktivität für das Wirtschaftswachstum und die Kapitalrendite entscheidend.

Bezüglich des Bevölkerungswachstums zeichnet die Weltbank schon jetzt ein positives Bild  – wobei von einem Anstieg der Bevölkerung von 7 Prozent für die kommenden zehn Jahre auf 104 Millionen ausgegangen wird, welche aufgrund der eingangs erwähnten Bildungsreform verhältnismäßig gut ausgebildet sein wird. Der hohe Zufluss an Direktinvestitionen in den vergangenen zehn Jahren von mehr als 5 Prozent zum BIP pro Jahr hat für den wichtigen Import von Know-how aus dem Ausland gesorgt. Letzterer ist eng mit der Produktivität korreliert, wie der Internationale Währungsfonds in diversen Publikationen gezeigt hat.

Somit sind die Direktinvestitionen ein wichtiger Teil der vietnamesischen Wachstumsgeschichte und Treiber des Aktienmarkts gewesen. Da anzunehmen ist, dass sich der Handels- beziehungsweise Technologiekonflikt zwischen den USA und China auch unter Joe Biden fortgesetzt wird, dürften sich die Produktionsketten weiterhin zugunsten Vietnams verschieben und Direktinvestitionszuflüsse dem Land weiterhin zugutekommen. Dabei wird Vietnam immer mehr zur Heimat für die Produktion höherwertiger Güter wie Elektronikgeräte.

 

Möglicher Schub durch Upgrade

Auch wenn der Wachstumstrend Vietnams, wie in vielen anderen Schwellenländern auch, nach der Pandemie sich etwas abschwächen dürfte, gehört das südostasiatische Land in den kommenden Jahren mit einem prognostizierten Wachstum von 5 bis 6 Prozent ab 2022 weiterhin zu den weltweit wachstumsstärksten Ländern. Vietnam hat, allem Pessimismus zum Trotz, die Pandemie bisher mehr als gut bewältigt und dürfte als eines der wenigen Länder bereits im kommenden Jahr ein positives Wirtschaftswachstum von knapp 3 Prozent aufweisen.

Dies spricht auch für den vietnamesischen Aktienmarkt, welcher durch die Korrektur in den Jahren 2018 und 2019 nicht mehr als teuer bewertet wird. Sollte die Liberalisierung der vietnamesischen Kapitalmärkte weiter fortschreiten, könnte der Aktienmarkt einen weiteren Schub bekommen. Denn bisweilen bestehen weiterhin Restriktionen für ausländische Investoren hinsichtlich der Beteiligung an vietnamesischen Unternehmen. Eine Lockerung könnte Vietnam vom bisherigen Status als Frontier-Markt zu einem Schwellenland aufsteigen lassen, welches zusätzliches Investorenvertrauen und Zuflüsse bedeuten dürfte.

 

Über den Autor:
Sven Schubert ist Senior Investment-Stratege beim Schweizer Vermögensverwalter Vontobel Asset Management.

Quelle: Das Investment

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