Das Investment: Es war einmal ein Zins „Die Geldpolitik gerät in immer ärgere Schieflage“

In den USA zeichnet sich eine neuerliche Trendwende ab: Die Zinsen sinken wieder. Holger Knaup, geschäftsführender Gesellschafter bei der Vermögensverwaltung Albrecht, Kitta & Co., sieht daduch nicht nur die Mühen der Altersvorsorge-Sparer bedroht. Welche Konsequenzen aus Niedrigzinsen langfristig drohen und wie sich Anleger seinem Rat nach aufstellen sollten, erläutert der Anlageprofi hier. So könnte es anfangen, das Märchen vom Zins: „Es war einmal ein Zins. Er war König und regierte über ein großes Reich. Und er war großzügig und gerecht: Er belohnte diejenigen, die besonnen mit ihrem hart Ersparten umgingen. Andererseits sorgte er dafür, dass diejenigen, die über ihre Verhältnisse lebten, einen zusätzlichen Malus in Kauf nehmen mussten.

Denn er wollte vermeiden, dass es zu Unruhen im Königreich kommt. Doch es traten böse Mächte an ihn heran, die ihm erzählten, dass er seine Macht und die Ruhe in seinem Reich nur bewahren könne, wenn er sein Vorgehen ändern würde. Er müsse den Besonnenen und Bescheidenen etwas wegnehmen und es denjenigen geben, die mehr ausgaben als sie hatten …“.

Leider weiß niemand, wie das Märchen ausgegangen ist. Und noch viel schlimmer: Leider ist es kein Märchen. Sondern seit Jahren Realität. Die Deutsche Bundesbank schreibt zum Thema „Zins“ unter der Rubrik „Schule und Bildung“:

„Wer spart, ‘konserviert’ den Wert über die Zeit und bildet sich so eine Reserve, über die er später bei Bedarf verfügen kann. Das „Spar-Geld“ kann man so in der Zwischenzeit anderen überlassen (z. B. einer Bank). Dafür bekommt man Zinsen, die gewissermaßen eine Entschädigung dafür sind, dass man für eine bestimmte Zeit auf die Verfügbarkeit seines Geldes verzichtet.“
Gefahr von Fehlallokationen

Stand heute müssten die Lehrbücher so langsam umgeschrieben werden. Denn mit ihrer Zinssenkung Ende Juli – der ersten nach zehn Jahren – hat die amerikanische Notenbank Fed den Stein für einen neuen Zinssenkungszyklus ins Rollen gebracht. Weltweit wird die Geldpolitik wieder gelockert. Auch Christine Lagarde, die designierte Nachfolgerin des EZB-Chefs Mario Draghi (Europäische Zentralbank), wird wohl den eingeschlagenen Weg des „whatever it takes“ fortsetzen mit dem Argument, die Euro-Zone um jeden Preis zusammenzuhalten. Die Geldpolitik wird damit immer mehr zur Finanzpolitik, die der Staatenfinanzierung dient. Schon heute sind in Europa rund Dreiviertel der Staatsschulden negativ verzinst. In Deutschland sind es sogar 90 Prozent. Dazu kommen noch die negativ verzinsten Unternehmensanleihen. Laut Bloomberg sind weltweit Schuldverschreibungen in Höhe von 13 Billionen Dollar im Umlauf, die negative Renditen abwerfen. Das muss aber längst nicht das Ende der Fahnenstange bedeuten.

Der Trend hin zu langfristig negativen Zinsen ist eine schlechte Nachricht für alle Sparer, Lebensversicherungen und Pensionskassen. Schon heute werden große Geldsammelstellen durch die Regulierung de facto dazu gezwungen, Staatsanleihen zu kaufen. Auch, wenn diese negativ rentieren. Faktisch steht damit die gesamte Altersvorsorge auf dem Spiel.

Hinzu kommt die immer größer werdende Gefahr von Fehlallokationen des Geldes, wie es sich schon bei den explodierenden Immobilienpreisen in den Metropolen zeigt. Darüber hinaus finanzieren sich die Unternehmen und Staaten nahezu zum „Nulltarif“. Auch solche, die in einem normalen Zinsumfeld schon lange zahlungsunfähig wären.

Die Strafzinsen, welche die EZB von den europäischen Banken für ihre Einlagen verlangt, reichen die Banken mittlerweile fast flächendeckend an ihre Kunden weiter. Sparen wird bestraft, kreditfinanzierte Investments werden immer mehr angeheizt. Diese „Asymmetrie“ hat dazu geführt, dass die weltweite Schuldenlast vermutlich nur getragen werden kann, wenn sie fast nichts kostet oder im schlimmsten Fall bei negativen Zinsen die Gläubiger langfristig schleichend enteignet. Die Geldpolitik gerät immer mehr in Schieflage und könnte am Ende das gesamte Geldsystem ins Wanken bringen.

Sparer zahlen die Zeche
Mit ihren erneuten Lockerungsmaßnahmen werden die internationalen Notenbanken die Zinsen noch weiter ins Minus drücken. Die psychologische Grenze von null Prozent ist dabei längst nach unten durchbrochen. Eine Grenze im negativen Bereich ist nicht zu erkennen. Und eins steht fest: Sollten die Strafzinsen auf Bankguthaben mittel- und langfristig weiter steigen, werden die Menschen beginnen, ihre Sicht- und Spareinlagen in Bargeld zu tauschen. Solch ein Szenario ist aktuell kaum vorstellbar, aber vor dem Hintergrund der aktuellen Zinspolitik nicht ausgeschlossen.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat für so einen Fall zumindest schon mal theoretisch einige Lösungen in Studien und Arbeitspapieren veröffentlicht. Diese reichen von der Abschaffung des Bargeldes, über Einschränkung des privaten Besitzes von Gold, Kapitalverkehrskontrollen, Monetarisierung der Schulden bis hin zu staatlichen Konjunkturprogrammen, die direkt von den Notenbanken finanziert werden (sogenanntes „Helikopter“-Geld). Christine Lagarde, noch IWF-Chefin und bald die neue Präsidentin der EZB, wird im Krisenfall vermutlich nicht davor zurückschrecken, auf dieses Arsenal an Maßnahmen ganz oder teilweise zurückzugreifen.

Gold zur Diversifikation in unsicheren Zeiten
Verschiedene Anlegergruppen haben auf die weitgehende Abschaffung der Zinsen bereits reagiert und Gold ein furioses Comeback beschert. Am Terminmarkt sind die Netto-Long-Positionen seit Anfang Juni sprunghaft angestiegen. Gleichzeitig verzeichnen Gold-ETFs hohe Mittelzuflüsse, und auch die Notenbanken horten immer mehr Gold.

Gold stellt allerdings keinen Ersatz für rentable Anlagen in Produktivkapital wie Aktien dar. Vielmehr dient es in Zeiten eines schwindenden Vertrauens in die Notenbanken und in das bestehende Geldsystem als eine „Versicherung“, die in den letzten Jahrtausenden in allen Wirtschaftskrisen, Kriegen und Währungsreformen seine Wertaufbewahrungsfunktion unter Beweis gestellt hat. Denn Gold ist am Ende auch eine Währung, die aber anders als das Papiergeld in seiner verfügbaren Menge weltweit begrenzt und dennoch sehr liquide ist.

Hat das Märchen vom Zins ein Happy End?
Die Notenbanken haben sich in eine fast ausweglose Situation manövriert. Die Verschuldung hat weltweit Höchststände erreicht. Die Frage ist also im Grunde nicht, „ob“, sondern „wann“ die Geldpolitik und das Geldsystem ihre Tragfähigkeit verlieren werden. Sicherlich wird die expansive Geldpolitik die Wohlstandsillusion auf Pump noch ein paar Jahre aufrechterhalten können. Aber langfristig ist es schwer vorstellbar, die Probleme ohne eine Neuordnung des Geldes beziehungsweise des Geldsystems beseitigen zu können.

Gleichwohl gilt es gerade jetzt, den Kopf nicht in den Sand zu stecken, sondern sein Vermögen ausreichend zu diversifizieren mit einem besonderen Fokus auf Sachwerte wie Aktien, Gold und Immobilien. Sparer, die ihr Vermögen dagegen immer noch ausschließlich auf Sparbüchern und auf Bankkonten liegen lassen, sollten spätestens jetzt damit anfangen, ihre Altersvorsorge auf neue Beine zu stellen. Sie könnten sonst zu den großen Verlierern am Ende dieser Entwicklung zählen. Wie das Märchen vom Zins am Ende wirklich ausgehen wird, werden wir vermutlich erst in ein paar Jahren wissen.

Über den Autor:
Holger Knaup arbeitet als geschäftsführender Gesellschafter bei der Vermögensverwaltung Albrecht, Kitta & Co. und ist verantwortlich für das Portfolio- und Risikomanagement.

Von: Holger Knaup
Quelle: Das Investment

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